Reformationstag_31.10.2019 von G. Heyn

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Predigt über 5. Mose 6,4-9
Höre, Israel, der Herr unser Gott, der Herr ist einer. Und du sollst den Herrn, deinen Gott, liebhaben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit aller deiner Kraft. Und diese Worte, die ich dir heute gebiete, sollst du zu Herzen nehmen und sollst sie deinen Kindern einschärfen und davon reden, wenn du in deinem Hause sitzt oder unterwegs bist, wenn du dich niederlegst oder aufstehst. Und du sollst sie binden zum Zeichen auf deine Hand, und sie sollen dir ein Merkzeichen zwischen deinen Augen sein, und du sollst sie schreiben auf die Pfosten deines Hauses und an die Tore.

Liebe Gemeinde,
wer schon mal eine Reise ins Heilige Land, also nach Israel, unternommen hat oder auf internationalen Flughäfen Richtung USA unterwegs war, dem sind bestimmt auch orthodoxe Juden begegnet: seltsame, vorwiegend schwarz gekleidete Menschen, die anmuten, als würden sie aus einem anderen Jahrhundert stammen, und die sich auch eigenartig benehmen.
Bei diesen, aber auch bei anderen Juden kann man die so genannten Gebetsriemen aus Leder und den Gebetsschal beobachten. Das sind – ich sag es mal so – Kleidungsstücke, die extra zum Gebet angelegt werden. Das Anlegen dieser „Kleidungsstücke“ folgt dabei einem festen Ritual.
An den Gebetsriemen befinden sich kleine Kästchen, in denen sich kleine Pergamentrollen befinden, auf denen bestimmte Abschnitte aus der Thora, aus der Bibel, unter anderem auch unser heutiger Predigttext geschrieben sind.
Diese Gebetsriemen gehen auf unseren heutigen Predigttext zurück, in dem die Angehörigen des Volkes Israel dazu aufgefordert werden, die Gebote Gottes stets vor Augen zu haben, um sie nicht zu vergessen.
Ebenfalls bei jüdischen Menschen, aber auch bei Christen kann man am Rahmen der Wohnungstür, ungefähr in Augenhöhe, eine kleine Kapsel antreffen, eine so genannte Mesusa, in der sich ebenfalls solche kleinen Pergamentrollen befinden.

Diesen ganzen kleinen Abschnitt, den ich vorgelesen habe, nennt man auf Hebräisch auch das „Schema Jisrael“, zu Deutsch: „Höre Israel“. Es sind die Anfangsworte dieses Textes.

Nun könnte man sich fragen, was diese Aufforderung mit uns zu tun hat, ausgerechnet heute, am Gedenktag der Reformation, wo wir uns doch besonders an den Reformator der Kirche, Martin Luther, und die durch ihn angestoßene Reformation erinnern wollen!

Man könnte ganz einfach ein einziges Wort des Predigttextes austauschen gegen ein anderes und schon würde uns die Bedeutung dieses Abschnitts aus der heiligen Schrift für uns deutlich werden:
„Höre, Volk Gottes, der Herr ist unser Gott, …“
oder
„Höre, du Gemeinde Gottes, du christliche Gemeinde! Höre, du, der du an Gott glaubst und zu Gott gehörst!“

Natürlich, es ist zuerst zum alttestamentlichen Volk Israel gesagt. Aber es ist unsere Glaubensüberzeugung, dass der Gott des alten Volkes Israel auch unser Gott ist, dass er der Vater Jesu Christi ist, der unser Herr und Heiland ist und an den wir glauben. Er ist derselbe Gott wie damals und seine Worte gelten noch heute.
Das „Schema Jisrael“, diese wenigen Verse aus dem 5. Buch Mose, werden oft als das Glaubensbekenntnis Israels bezeichnet. Ich meine, man müsste es eher als so etwas wie das Vaterunser, aber eben im Alten Testament bezeichnen. Ein Glaubensbekenntnis ist eine von Menschen formulierte Antwort auf die Anrede Gottes. Hier sind es aber Gottes eigene Worte, die er seinem Volk vorspricht und ihm einschärft.

Und auf diese Worte lasst uns jetzt noch einmal kurz in besonderer Weise hören und sie zu Herzen nehmen! Drei Gedanken möchte ich ansprechen:
1) Der Glaube an den einen Gott.
2) Die Erinnerung an das erste Gebot.
3) Der Auftrag, Gottes Gebote zu halten.

1) Der Glaube an den einen Gott.
Am Gedenktag der Reformation sollten wir als Lutheraner nicht im Brustton der Überzeugung, dass wir auf der richtigen Seite sind, in unserer Kirchenbank sitzen und etwas geringschätzig auf unsere römisch-katholischen und anderen Mitchristen herabblicken. Ganz bestimmt nicht! Nein, dieser Tag hat auch in gewisser Weise eine Leidenskomponente, nämlich dass wir Christen in so viele verschiedene Kirchen gespalten sind. Nicht mal in der lutherischen Kirchenfamilie herrscht Einigkeit.
Und dass, obwohl wir nur einen Gott haben. Obwohl wir nur an den einen Gott glauben, und zwar alle an denselben. Er ist der, der sich dem Mose vorgestellt hat mit den Worten „Ich bin der ich bin“. Der ist unser Gott. Und nur der! Er hat es uns im „Schema Jisrael“ selbst eingeschärft.
Der Glaube an den einen Gott, der von dem einen Gott ausgeht, ist bleibender Anspruch Gottes an uns und bleibende Herausforderung für unser Christsein.

2) Unser zweiter Gedanke: Die Erinnerung an das erste Gebot.
Dieser bleibende Anspruch Gottes an unser Leben wird unterstrichen durch das erste Gebot, dass Gott allen anderen Geboten so zu sagen als Überschrift vorangestellt hat: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, liebhaben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit aller deiner Kraft.“
Jesus Christus hat später gesagt: „Du sollst Gott lieben und deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Darin hängt das ganze Gesetz und die Propheten.“ Die Liebe zu Gott und die Liebe zum Nächsten und die Liebe zu sich selbst ist das Fundament einer funktionierenden Gottesbeziehung.
Aber kann man Liebe befehlen? Du sollst Gott lieben?
Wir würden wahrscheinlich mit „nein“ antworten. Und das entspricht auch unserer Erfahrung. Liebe kann man nicht befehlen, sondern sie entsteht, beruht meist auf Gegenseitigkeit und Vertrauen.
Aber Gott kann es in gewisser Weise „befehlen“ – wobei das ein „Befehl“ ist, der durch und durch von Gottes Liebe zu uns geprägt ist. Er liebt uns so sehr, dass er seinen eingeborenen Sohn für uns den Tod am Kreuz sterben ließ. Er liebt uns selbst dann, wenn wir ihn nicht lieben.
Gott trägt uns diese Liebe auf, weil er weiß, dass dann unser Leben gelingt, obwohl und trotzdem wir auf dieser Erde und fern von Gott leben.

3) Und ein dritter Gedanke: Der Auftrag, Gottes Gebote zu halten.
Gott hat uns seine Gebote gegeben, damit unser Zusammenleben Regeln hat, die jedem Menschen das Leben ermöglichen. Es ist gut, diese Gebote immer vor Augen und im Sinn zu haben, bei allem, was wir tun. Gott sagt: „Diese Worte, die ich dir heute gebiete, sollst du dir zu Herzen nehmen.“
Ich stelle mir das so vor: Wenn die Worte Gottes in unseren Herzen sind, wenn wir sie uns zu Herzen nehmen, dann wird der Platz für böse Gedanken in unserem Herzen weniger. Vielleicht können wir diesen Gedanken heute mitnehmen: Je mehr Platz Gott in unserem Herzen hat, desto weniger Platz ist da für anderes, was uns und unserem Nächsten schaden könnte.
Am Gedenktag der Reformation sich daran erinnern zu lassen, wäre durchaus im Sinne des Reformators!

Liebe Gemeinde, manche Christen haben eine Mesusa an ihrer Wohnungstür, um sich an die Worte Gottes erinnern zu lassen. Unser alter Lateinlehrer in Oberursel hatte uns einmal erzählt, dass er an der Tür seines Direktorzimmers in seiner Schule in Frankfurt am Main einen Bilderrahmen hängen hatte, in dem die Zehn Gebote zu lesen waren. Alle, die durch diese Tür kamen und gingen, wurden an die Zehn Gebote erinnert. „Die Worte, die ich dir heute gebiete, sollst du schreiben auf die Pfosten deines Hauses und an die Tore.“
Amen.