Predigt

10. Sonntag nach Trinitatis, 4. August 2013, von Prädikant Gottfied Heyn

(Die Predigt zum Mithören nach Manuskript: )

Predigt üb. Johannes 4,19-26
Die Frau spricht zu Jesus: Herr, ich sehe, dass du ein Prophet bist. Unsere Väter haben auf diesem Berge angebetet, und ihr sagt, in Jerusalem sei die Stätte, wo man anbeten soll. Jesus spricht zu ihr: Glaube mir, Frau, es kommt die Zeit, dass ihr weder auf diesem Berge noch in Jerusalem den Vater anbeten werdet. Ihr wisst nicht, was ihr anbetet; wir wissen aber, was wir anbeten; denn das Heil kommt von den Juden. Aber es kommt die Zeit und ist schon jetzt, in der die wahren Anbeter den Vater anbeten werden im Geist und in der Wahrheit; denn auch der Vater will solche Anbeter haben. Gott ist Geist, und die ihn anbeten, die müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten. Spricht die Frau zu ihm: Ich weiß, dass der Messias kommt, der da Christus heißt. Wenn dieser kommt, wird er uns alles verkündigen. Jesus spricht zu ihr: Ich bin's, der mit dir redet. Der Herr segne an uns sein Wort.

Liebe Gemeinde, aber heute besonders lieber Bjarne, liebe Tessa, lieber Henning, liebe Taufgesellschaft,
als vor wenigen Wochen in Hamburg der 34. Deutsche Evangelische Kirchentag stattfand, gab es von den Medien nur wenig beachtet einen Skandal: Menschen, die ihrer Herkunft nach Juden sind und an den Herrn Christus glauben, durften keinen eigenen Stand auf dem Markt der Möglichkeiten betreiben. Sie fanden einen Unterschlupf am Informationsstand der SELK und konnten dort von ihrem Glauben an den Messias Zeugnis ablegen. Es ist bis heute und bis hin zu den Verantwortlichen des Kirchentages politisch nicht akzeptiert, wenn man als Angehöriger des Volkes Israel Jesus Christus als den Sohn Gottes, als den erwarteten Messias bekennt und an ihn glaubt. Ein ähnlicher Skandal ist soeben hier in unserer Kirche passiert: Ein neugeborenes Kind, euer Sohn Bjarne, wurde durch das Bad der heiligen Taufe dem Machtbereich des Teufels entrissen und zu einem Kind Gottes gemacht. Es ist in unseren Breiten vielleicht etwas mehr akzeptiert, dass man sein Kind zur Taufe bringt, weil es zum gutbürgerlichen Rahmen gehört. Aber was bei der Taufe tatsächlich passiert ist, das wird doch von Vielen bestritten oder in Zweifel gezogen, selbst unter Christenmenschen. Auch damals in Samarien war ein Skandal passiert: Kein Geringerer als Jesus Christus, der Messias selbst, unterhält sich mit einer samaritanischen Frau und bringt sie zum Glauben an den Retter der Welt. Das durfte nicht sein, und es stieß auf völliges Unverständnis – bei den Jüngern Jesu und bei den sonstigen Zeitgenossen sowieso. Interessant ist, dass im ganzen 4. Kapitel des Johannesevangeliums von diesem skandalösen Gespräch berichtet wird. Und wenn man mal darin ein bisschen herumliest, stellt man schnell fest, dass Jesus und seine Gesprächspartner irgendwie ständig klassisch aneinander vorbeireden oder zumindest auf zwei verschiedenen Ebenen: Die Jünger reden ganz vom Diesseits. Jesus dagegen redet ständig von göttlichen Dingen. Die samaritische Frau nimmt eine Mittelrolle ein. Zunächst versteht sie nicht, aber dann kommt sie der Wahrheit ganz nahe. Vielleicht ist ihr die allerletzte und tiefste Erkenntnis noch verborgen geblieben. Vielleicht gehört das auch zu unserem Leben und zu unserem Christsein, dass uns die letzte Erkenntnis noch verborgen bleibt und wir nur in kleinen Schritten im Glauben wachsen – so dass es für uns zu bewältigen ist. Aus dem Gespräch Jesu mit der Samariterin will ich drei Gedanken herausgreifen und kurz ansprechen:

1) Das Heil kommt von den Juden.
2) Die Zeit ist schon da, in der wir den Vater anbeten.
3) Christus spricht: Ich bin’s, der mit dir redet.

1) Also das Erste: Das Heil kommt von den Juden. Das ist nach 2000 Jahren unheilvoller Geschichte zwischen Christen und Juden und besonders nach dem schlimmsten Verbrechen der Deutschen, dem Völkermord an den Juden in der Nazizeit, ein ganz schwieriger Satz. Am liebsten wollen wir dieses Kapitel ausblenden. Aber seit alter Zeit begeht die christliche Kirche am 10. Sonntag nach Trinitatis den Gedenktag an die Zerstörung Jerusalems. Als im Jahr 70 nach Christus der Tempel in Jerusalem von den Römern zerstört wurde, schien es endgültig aus zu sein mit dem Volk Gottes und mit Gottes Heilsplan. Aber: Gott hat sein Volk gestraft, aber er hat es nicht verstoßen. Wir Christen nehmen das zum Anlass, uns an die eigene Nase zu fassen und an unsere Sünden und Verfehlungen gegenüber Gott zu denken. Hochmut oder Verachtung gegenüber Juden sind völlig fehl am Platz. Gottes Plan bleibt gültig: Aus seinem auserwählten Volk ist der gekommen, der die Welt rettet. Sein Sohn Jesus Christus ist als Jude zur Welt gekommen. Und es hat Gott gefallen auf geheimnisvolle Weise und durch dieses verachtete Volk zu uns Menschen zu kommen. Kein menschlicher Herrscher würde so etwas tun. Nur Gott beschreitet diesen Weg. Er lässt sich von seinem Plan nicht abbringen, auch wenn die Mehrheit seines eigenen Volkes bis heute nicht an den Messias Jesus Christus glaubt. Gottes Plan bleibt gültig. Das gilt auch für Bjarne. Und im festen Vertrauen auf Gottes Zusage, habt ihr euren Sohn heute morgen hierher zur Taufe gebracht. Auch oder gerade weil es etwas Anstößiges ist, ein Skandal, etwas, was Viele unserer Mitmenschen am liebsten ausblenden, gilt für Bjarne wie für jeden Menschen: Nur durch den Zimmermannssohn aus Nazareth, den Juden Jesus, der zugleich der Christus ist, der Messias, der Sohn Gottes, gelangen wir zu Gott, zum Heil, zur Erlösung.

2) Unser zweiter Gedanke: Die Zeit ist schon da, in der wir den Vater anbeten. Jesus und die Samariterin reden ja darüber, ob und wann und wo denn der richtige Ort sei, um Gott anzubeten. Indem Jesus mit der Frau redet, sind alle bisherigen Religionsgesetze hinfällig und erledigt. Er stört sich nicht an dem Skandal, ja, er geht gar nicht mal darauf ein, als ihn die Jünger deswegen ansprechen. Für Jesus sind die Unterschiede und Grenzen bedeutungslos. Wenn Jesus in das Leben eines Menschen tritt, dann gibt es keine Zwänge und Ängste mehr. Sondern wir können frei und offen mit ihm reden, ganz vertrauensvoll, ohne Scheu. Er sagt zu der Frau, dass die Zeit noch anbrechen wird, in der wir Gott anbeten werden, und gleichzeitig ist sie schon jetzt da. Genau in dem Moment, als Jesus beginnt, mit der Frau zu reden, und sie ihm fast kindlich ihren Glauben an den Messias bekennt. Da beginnt für sie die Zeit der wahren Anbetung Gottes. Für uns hat diese Zeit in unserer heiligen Taufe angefangen. Vielleicht kannst du auch einen besonderen Zeitpunkt oder ein Ereignis benennen, an dem Jesus in dein Leben getreten ist. Für Bjarne hat diese Zeit heute begonnen. Was für andere ein Skandal ist, ist für uns Selbstverständlichkeit und Ausdruck unseres Glaubens: Wir können mit Gott reden – frei und offen, ganz vertrauensvoll, ohne Scheu.

3) Schnell noch der dritte Gedanke: Christus spricht: Ich bin’s, der mit dir redet. Eine typische Jesusantwort ist das – etwas „um die Ecke gedacht“, ein wenig zum Überlegen, nicht so ganz direkt, ein wenig verklausuliert. Jesus redet mit dieser Frau und sagt ihr, dass sie auf dem richtigen Weg ist und mit dem Richtigen redet. Aber er sagt es ihr so, dass sie nicht wie vom Schlag getroffen wird. Das ist das Schöne an dieser Antwort. Man muss sie erst ein wenig ins Gehirn eindringen lassen, um zu kapieren, wer da gerade was gesagt hat. Vergleichbar scheint mir immer die Situation, als Jesus vor dem Hohen Rat verhört wird. Auf die Frage: Bist du der Sohn des lebendigen Gottes?“ sagt er nicht einfach „Ja“, sondern „Du sagst es“. Wenn ich mir diese Situation genau überlege, jagt es mir einen Schauer über den Rücken. Wie muss das gewesen sein, dem Sohn Gottes direkt gegenüberzustehen? Das, was uns allen vorbehalten ist am Jüngsten Tag? Man muss sagen: bloß gut! Denn sonst müssten wir wohl auf der Stelle sterben. Jesus macht es mit uns so, wie mit der Frau. Er führt uns langsam an das Geheimnis Gottes und an das Geheimnis des Glaubens heran. Seltsamerweise schreit die Frau ja nicht sofort: Was???? Du bist es? Sondern die letzte und höchste Erkenntnis bleibt ihr noch verborgen. Ähnlich macht es Jesus mit uns: Stück für Stück werden wir an die Inhalte des Glaubens herangeführt, bis wir am Ende vor ihm stehen werden. Wir sind unterschiedlich weit auf diesem Weg. Manch einer ist vielleicht schon sehr weit vorangekommen, manch einer muss vielleicht noch Umwege laufen. Für Bjarne hat dieser Weg heute angefangen. Aber sicher ist, dass wir alle an den Punkt gelangen werden, an dem Jesus vor uns steht und zu uns sagt: Du bist am Ziel! Komm her! Lass dich in den Arm nehmen! Du bist zu Hause! Ich bin’s, der mit dir redet! Liebe Gemeinde, Christsein und Christwerden ist ein Skandal in dieser Welt. An einen gekreuzigten Juden zu glauben, ist nicht besonders schick. Und wenn wir dann noch davon berichten, dass Christus mit uns redet und wir mit ihm, dann erklären uns viele für verrückt. Wir wissen aber, dass wir Gott schon jetzt im Geist und in der Wahrheit anbeten und dass wir keinem Götzen oder einer Einbildung nachlaufen. Und wir wissen, dass alle, die getauft sind und im Glauben an den lebendigen Gott leben, ans Ziel kommen werden. Wir zusammen mit Bjarne. Amen.