Beichtansprache
(Pastor Gert Kelter am Drittletzten Sonntag im Kirchenjahr 2003)
Versöhnt zum Abendmahl
Darum: wenn du deine Gabe auf dem Altar opferst und dort kommt dir in den
Sinn, dass dein Bruder etwas gegen dich hat,
so lass dort vor dem Altar deine Gabe und geh zuerst hin und versöhne dich mit
deinem Bruder und dann komm und opfere deine Gabe. (Matthäus 5,23-24)
Liebe Beichtgemeinde,
So lange ist das noch gar nicht her, dass man bei uns selbstverständlich und nahezu ausnahmslos erst zur Beichte und dann zum Hl. Abendmahl ging. Im Augsburgischen Bekenntnis lesen wir, wie es in der Reformationszeit war. Dort heißt es in Art. 25 „Über die Beichte": „Auch bei uns ist es üblich, keinem das Sakrament zu reichen, der nicht vorher befragt wurde und die Vergebung empfangen hat."
In den letzten Jahrzehnten kam dann die Frage auf, ob denn dieser Zusammenhang von Beichte und Abendmahl unbedingt nötig sei, wo man doch in beiden Fällen dasselbe, nämlich Vergebung der Sünden empfange.
Und heute haben wir es mit der wenig erfreulichen Tatsache zu tun, dass es eine kleine Beichtgemeinde gibt, die mit der viel größeren Abendmahlsgemeinde nicht mehr identisch ist. Es gibt Menschen, Gemeindeglieder, die nie zur Beichte und durchaus häufig zum Hl. Abendmahl gehen. Nun ist bei uns aber auch die persönliche Anmeldung zum Sakramentsgang durch den Eintrag ins Abendmahlsbuch ersetzt worden und auch vorher schon hatten sich nur etwa ein Viertel der tatsächlichen Kommunikanten noch in der Sakristei angemeldet. Es gibt also kaum noch die Möglichkeit der im Augsburgischen Bekenntnis so genannten „Befragung". Dabei wurde der Kommunikant nach seinem Abendmahlsglauben befragt und zugleich erhielt er, üblicherweise nach der Einzelbeichte und der Absolution, die Zulassung zum Sakrament ausgesprochen. Voraussetzung dafür war neben dem Bekenntnis zum biblischen Abendmahlsglauben, dass er versöhnt war. Mit Gott und mit seinen Mitmenschen. In unversöhnter und unversöhnlicher Haltung kann und darf ich das Hl. Abendmahl nicht empfangen, wenn ich es mir nicht zum Schaden nehmen will.
In der Beichte geschieht aber Erkenntnis der Schuld, öffentliches Bekenntnis der Schuld und öffentliche Versöhnung. Diese Öffentlichkeit ist von einiger Bedeutung. Übrigens standen in der Reformationszeit die Beichtstühle offen im Chorraum und die Beichtenden traten vor den Augen der anderen an den Beichtstuhl heran, bekannten dann – zwar nicht für alle Umstehenden hörbar, aber eben doch sichtbar ihre Sünden vor dem Pastor- und empfingen auch öffentlich die Absolution. Daher stammt auch die Bezeichnung „Ohrenbeichte", weil man dem Pfarrer flüsternd direkt ins Ohr beichtete.
Wichtig: Die ganze Abendmahlsgemeinde konnte davon ausgehen, dass sie alle unterschiedslos als begnadigte und versöhnte Sünder gemeinsam das Hl. Abendmahl empfangen.
Nun könnte man einwenden, die Sünde und damit auch die Vergebung sei doch eine ganz persönliche Sache zwischen dem einzelnen Christen und Gott. Und da es mehrere Möglichkeiten der Beichte, unter anderem auch die Herzensbeichte im persönlichen Gebet gibt, sei es doch nicht von Bedeutung, ob man nun öffentlich oder ganz im Privaten beichtet und dann das Hl. Abendmahl empfängt. Sieht man sich aber einmal die Zehn Gebote an, fällt sofort auf, dass nahezu alle Gebote sich auch auf den zwischenmenschlichen und das heißt eben auch: auf den zwischenchristlichen Bereich beziehen. Jede Gebotsübertretung ist eine Übertretung des 1. Gebotes. Aber alle Gebote berühren auch das Zusammenleben, die Einheit, den Frieden zwischen den Menschen und also auch zwischen den Christen. Nicht nur das Verleumden, Stehlen, Morden, Ehebrechen usw., sondern auch das Heiligen des Feiertages oder die Verunehrung des Namens Gottes. Wer die Gottesdienste der Gemeinde versäumt, fügt dem Leib Christi einen Schaden zu, beschädigt die Einmütigkeit des Gotteslobes, gibt der Gemeinde ein Ärgernis. Wer den Namen Gottes missbraucht oder den Glauben verleugnet, tut der Kirche, der Gemeinde der Heiligen weh. Mit anderen Worten: Jede einzelne Sünde, vom 1. bis zum 10. Gebot, hat eine direkte Auswirkung vertikal nach oben zu Gott, zu Christus hin, aber immer auch eine horizontale Auswirkung und Bedeutung im Blick auf die Mitchristen, auf die Gemeinde, die Kirche, den Leib Christi.
Christus sagt Mt 5: Wenn dir in den Sinn kommt, dass dein Bruder etwas gegen dich hat, dann lass deine Gabe vor dem Altar und geh zuerst hin und versöhne dich mit deinem Bruder.
Wenn es dir in den Sinn kommt! Da gibt es aber manche verborgene Sünde, die dir nicht in den Sinn kommt, wenn du um Vergebung deiner Sünden bittest. Und darunter mögen auch solche sein, die nur dir, aber nicht deinem Mitchristen verborgen geblieben sind. Wie viele Verletzungen oder Ärgernisse richte ich möglicherweise jeden Tag an, ohne dass es mir bewusst ist? Ich kann für mich ja nicht beanspruchen, dass ich vollkommene Erkenntnis meiner Sünden habe oder dass mein Gewissen so vollkommen durch Gottes Wort geschärft ist, dass ich wirklich weiß, was alles an meinen Gedanken, Worten und Werken mich vor Gott und meinen Mitchristen schuldig macht. Andere Christen mögen da in bestimmten Bereichen ein geschärfteres Gewissen haben und mich in meinem Reden und Tun mit ganz anderen Augen sehen, als ich mich selbst. Im Psalm heißt es darum: „Wer kann merken, wie oft er fehlet? Verzeihe mir die verborgenen Sünden!"
Sich in der Öffentlichkeit der christlichen Gemeinde als Sünder zu bekennen und genauso öffentlich Vergebung seiner Sünden zu erbitten und zu erhalten, ist darum nicht peinlich oder unter meiner Würde, sondern eine heilsame, immer wieder neu notwendige geistliche Umkehr und Hinkehr zu Gott und seiner Versöhnung. „Wenn unser Herr und Meister Jesus Christus spricht: Tut Buße!, hat er gewollt, dass das ganze Leben der Gläubigen Buße sei", heißt es in der 1. der 95. Thesen Luthers, die er am 31. Oktober 1517 veröffentlicht hat.
Auch für den in geistlicher Verantwortung für seine Gemeindeglieder stehenden Pastors ist es manchmal sehr schwierig, wenn Gemeindeglieder zwar regelmäßig kommunizieren, aber nie oder fast nie zur Beichte kommen. Manchmal ist es so, dass da jemand am Altar kniet und das Sakrament empfangen will, mit dem man gerne zuvor eine Sache geklärt hätte. Eine solche Klärung muss in schwerwiegenden Fällen im Vorfeld so erfolgen, dass der Pastor von sich aus ein Gespräch mit dem betreffenden Gemeindeglied sucht. Aber es gibt andere Fälle, wo man als Pastor sehr sorgfältig überlegen muss, ob es seelsorglich klug wäre, jemanden durch seinen persönlichen Besuch zu bedrängen, um nicht Verhärtungen und Widerstände zu wecken, die am Ende eine gegenteilige Wirkung haben könnten.
Und gerade dann ist wichtig, dass möglichst alle, die das Hl. Abendmahl empfangen, zuvor auch in der Beichte waren. Da kann man in der Beichtansprache Themen in allgemeiner Form ansprechen, von denen sich doch der konkrete Einzelne sehr persönlich angesprochen fühlen kann und soll. Und wenn dieser Einzelne dann öffentlich auf die Frage „Bekennst du, dass du gesündigt hast und bereust du deine Sünden und begehrst du die Vergebung deiner Sünden im Namen Jesu Christi?" sein <Ja> spricht und darauf die Lossprechung empfängt, dann gilt dieses Schuldbekenntnis und mehr die empfangene Vergebung vor Gott und vor den Menschen. Es sind dann nur sehr wenige, sehr schwerwiegende Fälle denkbar, wo auch dann ein Pastor sich noch veranlasst sehen müsste, einem so öffentlich Versöhnten das Sakrament trotzdem zu verweigern. Und in solchen Fällen dürfte der Pastor dann bereits im Beichtgottesdienst auch die Lossprechung nicht erteilen.
„Wer ständig zur Beichte rennt, wird’s wohl nötig haben", sagen böse Zungen, die es meinen, nicht nötig zu haben und sich schon deshalb als diejenigen entlarven, die es am nötigsten hätten. Auf solche Sprüche darf man nichts geben. Wer sein Leben immer wieder neu als Gabe, d.h. als Lebenshingabe des Lobes und Dankes Gott darbringt, um es in der Kraft Seines Geistes versöhnt und verwandelt wieder zu empfangen, dessen Glaube und dessen Liebe wird auch solche heimlich oder offen ausgesprochenen Boshaftigkeiten tragen können.
Wer heute wieder seine Sünde in der Öffentlichkeit der Gemeinde bekennt und im Vertrauen die Gnade Jesu Christi die Vergebung aller seiner Sünden öffentlich empfängt, der ist versöhnt und im Frieden mit Christus, dem Haupt und der Kirche als dem Leib Christi. Und der darf mit Freude und in der Gewissheit, daraus großen Trost und viel Kraft zu erhalten, auch den Leib und das Blut Christi empfangen und dadurch auch heute wieder ein Leib mit Christus werden mit all denen, die Glieder an seinem Leib sind. Amen.