Predigt
(Pastor Gert Kelter am Sonntag Okuli 2002)
Die Kraft göttlicher Speise.
Und Ahab sagte Isebel alles, was Elia getan hatte und wie er alle Propheten Baals mit dem Schwert umgebracht hatte.—Da sandte Isebel einen Boten zu Elia und ließ ihm sagen: Die Götter sollen mir dies und das tun, wenn ich nicht morgen um diese Zeit dir tue, wie du diesen getan hast!—Da fürchtete er sich, machte sich auf und lief um sein Leben und kam nach Beerscheba in Juda und ließ seinen Diener dort.—Er aber ging hin in die Wüste eine Tagereise weit und kam und setzte sich unter einen Wacholder und wünschte sich zu sterben und sprach: Es ist genug, so nimm nun, HERR, meine Seele; ich bin nicht besser als meine Väter.—Und er legte sich hin und schlief unter dem Wacholder. Und siehe, ein Engel rührte ihn an und sprach zu ihm: Steh auf und iss!—Und er sah sich um, und siehe, zu seinen Häupten lag ein geröstetes Brot und ein Krug mit Wasser. Und als er gegessen und getrunken hatte, legte er sich wieder schlafen.—Und der Engel des HERRN kam zum zweitenmal wieder und rührte ihn an und sprach: Steh auf und iss! Denn du hast einen weiten Weg vor dir.—Und er stand auf und aß und trank und ging durch die Kraft der Speise vierzig Tage und vierzig Nächte bis zum Berg Gottes, dem Horeb.—Und er kam dort in eine Höhle und blieb dort über Nacht. Und siehe, das Wort des HERRN kam zu ihm: Was machst du hier, Elia?—Er sprach: Ich habe geeifert für den HERRN, den Gott Zebaoth; denn Israel hat deinen Bund verlassen und deine Altäre zerbrochen und deine Propheten mit dem Schwert getötet, und ich bin allein übriggeblieben, und sie trachten danach, dass sie mir mein Leben nehmen.—Der Herr sprach: Geh heraus und tritt hin auf den Berg vor den HERRN! Und siehe, der HERR wird vorübergehen. Und ein großer, starker Wind, der die Berge zerriss und die Felsen zerbrach, kam vor dem HERRN her; der HERR aber war nicht im Winde. Nach dem Wind aber kam ein Erdbeben; aber der HERR war nicht im Erdbeben.—Und nach dem Erdbeben kam ein Feuer; aber der HERR war nicht im Feuer. Und nach dem Feuer kam ein stilles, sanftes Sausen. —Als das Elia hörte, verhüllte er sein Antlitz mit seinem Mantel und ging hinaus und trat in den Eingang der Höhle. Und siehe, da kam eine Stimme zu ihm und sprach: Was hast du hier zu tun, Elia? (1.Kön.19, 1-13)
Liebe Brüder und Schwestern,
das ist nicht nur eine Geschichte, die uns hier begegnet, sondern das ist Geschichte, verbürgte Historie. Ahab, der König von Israel, lebte im 9. Jahrhundert vor Christus. Isebel, seine Frau, die Tochter des heidnischen Fürsten von Sidon mit dem bezeichnenden Namen Ethbaal gab es wirklich. Und auch die Folgen dieser politisch motivierten und nach weltlichen Gesichtspunkten taktisch klugen Verbindung zwischen einem israelitischen König und einer heidnischen Fürstentochter sind u.a. durch archäologische Funde belegt. Isebel setzte alles daran, ihren Baals- und Ascherakult, einen altkanaanäischen Fruchtbarkeitskult, in Israel heimisch zu machen. Zunächst mag das alles noch so etwas gewesen sein wie die versöhnte Verschiedenheit zweier Religionen, mag nach tolerantem Nebeneinander und weitherzigem Pluralismus ausgesehen haben. Aber - und da begegnen sich 3000 Jahre alte Geschichte und unsere Gegenwart- : wo es zu einem Wettstreit zwischen dem einen wahren Gott und sinnenfreudigen, natur- und lebensbejahendem Kult kommt, laufen die Menschen scharenweise dem lebendigen Gott weg und hin zu Baal und Aschera, hin zum schnellen Vergnügen, zur Macht des Geldes, zur grenzenlosen Selbstverwirklichung, zum Kult der Machbarkeit aller Dinge. Versöhnte Verschiedenheit, Toleranz und Pluralismus - das sind moderne Tarnbegriffe, die auf religiösem Gebiet immer die Unterdrückung der Wahrheit zur Folge haben.
Isebel hatte leichtes Spiel. Aus dem Nebeneinander wird ein Gegeneinander und schon bald verdrängen die Altäre und Standbilder der heidnischen Götter die Verehrung des Gottes Israels. Gott schweigt dazu nicht. Seine Gegenmaßnahme besteht in der Verhängung einer jahrelangen Dürre. Das ist schon fast ironisch, auf dem Wege einer Naturkatastrophe ausgerechnet den Anhängern eines Natur- und Fruchtbarkeitskultes zu zeigen, wer der Herr ist. Aber Israel bleibt gerade da, wo es wirklich aus dem Naturgeschehen das Wirken und den Willen Gottes erkennen könnte, blind. Wie ein Spielsüchtiger, der am Ende ist und unter der Flut seiner Schulden zu ertrinken droht, aber weiterspielt, weil er hofft, beim nächsten Mal die entscheidenden Millionen zu gewinnen, die ihn aus seinem Elend befreien. Dem Elend, in das ihn genau der Götze des Spielens gestürzt hat. So setzt Israel darauf, den Baalen und der Aschera noch mehr zu opfern, noch mehr Altäre zu bauen. Die Predigt des von Gott berufenen Propheten Elia verhallt ungehört. Isebel hat ihren Ahab um den Finger gewickelt, lässt die Propheten Gottes ausrotten und sie hätte alle getötet, wäre da nicht der mutige Hofmeister Ahabs gewesen. Das war ein Mann namens Obadja, der wenigstens 100 Propheten des Herrn vor der Verfolgung durch Isebel gerettet hatte, indem er sie in Höhlen versteckte und mit Nahrung versorgte.
Ihnen stehen am Ende in Israel 450 Priester und Propheten des Baal und 400 Priester der Aschera gegenüber, allesamt von Königin Isebel besoldet und verpflegt.
Elia greift todesmutig zum äußersten Mittel, tritt Ahab gegenüber und fordert ein Gottesurteil, das über Wahrheit und Irrtum, über Gott und die Götzen entscheiden soll.
Auf dem Berg Karmel werden zwei Altäre errichtet, mit Holz und Opferfleisch beschichtet.
Die Baalspriester fordert Elia auf, ihre Götter anzurufen und sie zu bitten, ihre Macht dadurch zu erweisen, dass sie das Opfer entzünden und damit symbolisch annehmen.
Er selbst lässt den Altar Gottes demonstrativ mit vier Eimern Wasser begießen. Und dann beginnt der Kampf um das Wunder. Das Ergebnis: Der Baalsaltar bleibt kalt aber der Altar Gottes entzündet sich. Elia nutzt die Gunst der Stunde und bringt das Volk dazu, die Baalspriester zu ergreifen und zu töten. Und das Alte Testament scheut sich nicht zu bemerken, dass Elia hierbei auch persönlich mörderische Hand anlegte.
Nur glaube doch niemand, dass damit die Sache entschieden und der Kampf für den Gott Israels gewonnen gewesen wäre. Der gewaltige Gott der vitalen Lebensgläubigkeit, der Natur und der Sinnenfreude lässt sich mit einer seelischen Schockwirkung nicht entthronen. Das wissen wir nicht erst seit dem sogenannten 11. September, nach dem angeblich nichts mehr war, wie es einmal war und doch alles nach sehr kurzer Zeit wieder weiterging wie gehabt.
Isebel schäumt vor Wut und lässt Elia eine Morddrohung zukommen, die besagt, dass er binnen 24 Stunden nicht mehr unter den Lebenden sein werde.
Und erst jetzt, liebe Gemeinde, setzen die Geschehnisse ein, die uns heute eigentlich zur Betrachtung aufgegeben sind.
Elia flieht voller Todesangst in die Wüste und sinkt nach einer Tagesreise erschöpft unter einem Ginsterstrauch, Luther übersetzt „Wacholderbusch", nieder.
Halten wir an dieser Stelle einmal inne.
Man muss kein Elia sein, um den Zustand der abgrundtiefen Müdigkeit, der düsteren Erschöpfung kennen und nachempfinden zu können. Man muss es nicht mit einem mörderischen aber mächtigen Teufelsweib wie Isebel zu tun haben und man muss auch nicht einen Kampf um die Wahrheit Gottes geführt haben, um an seine körperlichen und seelischen Grenzen zu gelangen. Dazu reicht schon der ganz alltägliche Kampf um die Rettung einer zerrütteten Ehe, die nach aller Kraftanstrengung keine Zukunft mehr zu haben scheint. Dazu reicht das mutige Eintreten für Gerechtigkeit und Aufrichtigkeit am Arbeitsplatz, mit dem man sich überall Feinde geschaffen und die Karriere vermasselt hat. Dazu reicht die aufopferungsvolle Fürsorge für kranke und behinderte Angehörige, die niemand wirklich zu bemerken und anzuerkennen scheint. Dazu reicht das vergebliche Bemühen um einen neuen Arbeitsplatz. Dazu reicht die Mühe um Kinder und Enkel, das treue Beten, die unendlichen Versuche, ihnen den Glauben und die Kirche nahe zu bringen und die Erfahrung, dass sie dann doch eigene und ganz andere Wege gehen. Dazu reicht aber auch das Eintreten für die Bewahrung des Bewährten in Kirche und Gemeinde, das immer wieder auf Unverständnis und Ablehnung stößt oder auch die Erfahrung mancher Pastoren, die sich engagieren und abmühen, um eine Gemeinde voranzubringen, aber dafür nur Kritik ernten und nach und nach den Eindruck gewinnen, mit dem, was sie tun und sagen, was sie Gutes und Sinnvolles für die Gemeinde wünschen und wollen, überall nur noch vor Wände zu laufen.
Am liebsten nur noch schlafen - diese Sehnsucht stellt sich dann schwermütig bei diesen müden und erschöpften Menschen ein. Und so mancher denkt vielleicht im Stillen, wenn’s ganz schlimm kommt, hinzu: Und nie mehr aufwachen.
Liebe Gemeinde: Auch glaubende Menschen können einbrechen, zusammenbrechen. Dafür ist Elia ein biblisches Beispiel. Ein Beispiel allerdings, das uns entlasten kann, wenn wir denken, ein solcher Einbruch sei nun auch noch der Beweis dafür, dass wir kein Gottvertrauen, keinen wirklichen und echten und tragfähigen Glauben mehr haben.
Im Gegenteil: Wenn es stimmt, dass Gottes Kraft in den Schwachen mächtig ist, dann führt Gott seine Sache und seine Kinder auch da fort, wo alles zuende scheint. Dann können sich nicht nur in unserem trotzigen „Dennoch", in unserem bewundernswerten Aushalten und Durchhalten, sondern auch in unseren Schwachheiten heimliche Siege Gottes verbergen oder daraus hervorgehen.
Da ist selbst der Erschöpfungsschlaf in der Wüste nicht mehr nur bewusstloses Nichtstun.
Natürlich heißt es zurecht im Neuen Testament wiederholt: Wacht und betet, dass ihr nicht in Anfechtung fallt. Schlaft nicht ein, damit ihr die Stunde des Herrn nicht verpasst.
Natürlich gibt es diese Schläfrigkeit, diesen gedankenlosen, trägen, lustlosen Schlaf der Bequemlichkeit.
Aber das ist nicht der todesmüde Erschöpfungsschlaf des Propheten Elia. Ich denke schon, dass Gott einen solchen Schlaf an den Nullpunkten unseres Lebens über uns verhängen kann, um uns wieder auf den Weg zu bringen, um uns ganz nahe zu kommen und deutlich zu machen, dass wir ganz und gar auf seine Hilfe, auf seine Stärkung, seine Wegweisung, seine Zielsetzung angewiesen sind.
In diesem Sinne gibt es der Herr, wie es im Psalm heißt, den Seinen oder seinen Freunden tatsächlich auch zuweilen im Schlaf.
Als Elia, zweimal vom Engel Gottes geweckt, aus seinem Schlaf erwacht, sieht er jedenfalls, was ihm vorher verborgen war: Gott ist noch da mit seiner Stärkung, seinem Trost, seiner Wegzehrung. Ein Krug mit Wasser und ein Brotfladen müssen ihm das predigen und zusprechen. Geringe Mittel, unter denen Gott sich offenbart, den Menschen nähert und sie zu neuer Kraft bringt, sie wieder aufrichtet und auf den Weg stellt. Nicht von ungefähr sagt Luther immer wieder, dass gerade die, die verzweifelt und traurig und niedergeschlagen sind, ganz bewusst und oft das Hl. Abendmahl empfangen sollen. Denn gerade denen will Gott doch nahe sein und ihnen die Augen für seine Gegenwart, seine Hilfe und seine Macht öffnen.
Brüder und Schwestern: Es ist ganz seltsam, wie selbstverständlich es dann in unserem Abschnitt ganz plötzlich und unvermittelt heißt: „Und Elia stand auf und aß und trank und ging durch die Kraft der Speise vierzig Tage und vierzig Nächte bis zum Berg Gottes, dem Horeb." Davon war zuvor nie die Rede. Aber es kann doch nur so sein, dass der Horeb, der Berg Sinai, der Berg der Gottesoffenbarung und Gottesbegegnung das Ziel ist. Dazwischen liegen 40 Tage und 40 Nächte, die Vierzig Zeiteinheiten in der Wüste, das ist geradezu das klassische Zeitmaß der nötigen Bereitung zu neuer Erkenntnis und Berufung. Vierzig Jahremusstee Israel in der Wüste bleiben, bevor es das verheißene Land einnehmen konnte. Vierzig Tage und Nächte wurden Elia verordnet, vierzig Tage und Nächte blieb Jesus vor seinem ersten öffentlichen Auftreten in der Wüste.
Aber gestärkt durch die Kraft der göttlichen Speise erreicht Elia das Ziel. Nicht auf dem Gipfel des Horeb, sondern in einer Höhle, nicht in den gewaltigen Naturereignissen von Sturm, Erdbeben und Feuer erkennt Elia den lebendigen Gott. „Der Herr war nicht darin", heißt es jedes Mal. Sondern nach einem stillen, sanften Sausen in der Dunkelheit der Höhle hört Elia Gottes Stimme, Gottes Wort. Da zeigt sich nicht ein Gott-in-der-Natur, sondern der „Gott-im-Wort". Bis heute offenbart er sich nicht anders.
Liebe Gemeinde, wie in einer Zusammenfassung laufen am Schluss noch einmal alle Ereignisse der jüngsten Vergangenheit vor Elia ab: Mit dem Einsatz einer Naturkatastrophe, der langjährigen Dürre, war das Volk nicht zur Umkehr zu bewegen. Mit dem spektakulären Gottesurteil auf dem Karmel auch nicht. Der Gebrauch roher Gewalt konnte die Macht Isebels und ihrer Götzen nicht eindämmen. Sturm, Erdbeben und Feuer sind nicht die Mittel, durch die Gott siegen will. Sondern allein sein Wort.
So unscheinbar, so verborgen, so wenig spektakulär offenbart sich Gott seinem Propheten, gibt ihm einen klaren Auftrag und schickt ihn zurück in den Kampf. Aber als Elia aus der dunklen Höhle ins helle Sonnenlicht tritt, ist es wie eine neue Geburt.
Und da leuchtet, ganz verborgen noch und kaum zu ahnen, schon so etwas auf wie Ostern und wir werden ermutigt, die vierzig Tage und die vierzig Nächte, gestärkt durch die Kraft der göttlichen Speise bis zum Ort der Gottesoffenbarung zu gehen. Damit wir dann wieder singen können: „Wach auf, mein Herz, die Nacht ist hin, die Sonn ist aufgegangen. Ermuntre deinen Geist und Sinn, den Heiland zu empfangen, der heute durch des Todes Tür gebrochen aus dem Grab herfür der ganzen Welt zur Wonne."
Amen.