Beichtansprache

(Pastor Gert Kelter am 4. Sonntag im Advent 2002)

Den Stolzen widersteht Gott

Der Gottlose meint in seinem Stolz, Gott frage nicht danach. »Es ist kein Gott« sind alle seine Gedanken. (Psalm 10,4)

Liebe Beichtgemeinde,

Luther bezeichnet den Stolz, altertümlicher ausgedrückt: die Hoffart, als die Ursünde des Menschen und bezieht sich dabei auf die Geschichte vom Sündenfall.

Interessant ist, wie das Psalmwort dem Gottlosen den Stolz als Hauptwesensmerkmal beifügt und damit Stolz und Gottlosigkeit in einem Atemzug nennt.

Worin besteht der Zusammenhang? Ist es so, dass alle Gottlosen immer auch stolz sind; oder sind –umgekehrt- auch alle Stolzen automatisch und unausweichlich gottlos?

Beides gilt wohl, aber was für uns in den Blick gerückt werden soll, ist die Unausweichlichkeit der Gottlosigkeit für den Stolzen. Die Gottlosigkeit, von der hier die Rede ist, ist etwas anderes als der moderne Atheismus. Der Gottlose des Psalms leugnet nicht die Existenz Gottes. Für ihn gilt: Es ist ein Gott, aber der hat mir nichts zu sagen. Dessen Gebote betreffen mich nicht. Er wird meine Gebotsübertretungen nicht ahnden.

Das Teuflische am Stolz ist, dass er sich -sehr oft sogar - mit einer Fassade aus Liebe und Frömmigkeit tarnt. Und damit sind wir im Kern der Wurzelsünde „Stolz" angelangt.

Stolz ist eine Störung der Selbstwahrnehmung. Der Stolze erlebt und empfindet sich meist als liebevoll, ja liebevoller als alle anderen. Mancher, dessen Kernsünde der Stolz ist, wird von seinen Mitmenschen als jemand wahrgenommen, der sich ständig mit seiner Liebe regelrecht anbiedert. Das Sündhafte hinter diesem Verhalten besteht darin, dass der Stolze durch seine Zuwendung und Fürsorglichkeit andere von sich abhängig machen, andere gängeln und beherrschen will.

Manche Mütter, die nach außen überaus liebevoll wirken, die man als „gluckenhaft" bezeichnen würde, und die es entsetzt von sich weisen würden, ausgerechnet „stolz" zu sein, sind zutiefst vom Stolz in seiner sündhaften Form gefangen. Sie wollen mit aller Macht, getarnt unter Liebe und Fürsorglichkeit, ihre Kinder lebenslang bevormunden, regieren und an sich binden. Darum werden sie alles tun, um ihre Kinder nicht selbständig, erwachsen, mündig und unabhängig werden zu lassen. Sie werden ihnen die Wäsche waschen, den Auszug aus der mütterlichen Wohnung möglichst lange hinauszögern, später mit Geldgeschenken, regelmäßigen Besuchen, bei denen man noch schnell die Wohnung des Sprösslings säubern kann, das längst erwachsene Kind klein und gefügig und vor allem dankbar halten.

Der Stolz besteht dabei in der Selbsteinschätzung: Es geht nicht ohne mich. Ich bin sozusagen „Schöpfer und Erhalter des Lebens".

In dieser Formulierung wird auch ersichtlich, wie sehr der Stolz ein geistliches Übel sein kann und ist. Denn der Stolze tut sich sehr schwer, eine herzliche Gottesbeziehung aufzubauen. Im Grunde braucht er Gott nicht, weil er sich selbst ja als so stark und tatkräftig erlebt. Eher schon braucht Gott ihn. Übertrieben ausgedrückt: Wie sollte Gott ohne ihn die Welt retten? Das ist dann das, was der 10. Psalm die Gottlosigkeit des Stolzen nennt.

Alle Stolzen, die ihre Umwelt mit ihrer erdrückenden Liebe überziehen, erwarten dafür Dankbarkeit von allen anderen, einschließlich Gott. Ihnen selbst fällt Dankbarkeit dabei aber oft sehr schwer.

Und wehe, man weist die Rettungs- und Liebesbemühungen einmal zurück. Der Stolze ist so in seinem Stolz gefangen, dass er seine Liebe für „echt" hält und reagiert sehr beleidigt auf Zurückweisung.

Die große Gefahr, in der die Stolzen schweben, besteht darin, dass sie nur schwer zu wirklicher Sündenerkenntnis finden. Sündenerkenntnis hieße ja, den eigenen Stolz hinter der Fassade aus Liebe und Fürsorglichkeit zu erkennen. Aber gerade dies verhindert ja der Stolz.

Das biblische Gegenbild zu den Stolzen, zu denen übrigens sehr viele Frauen gehören –der Prophet Jesaja hat den stolzen Frauen fast das ganze 32. Kapitel seines Buches gewidmet - ist Maria. Sie ist diejenige, die den großen Gott dafür dankbar preist, dass er sie in ihrer Niedrigkeit angesehen hat.

Den Stolzen widersteht Gott bekanntlich, aber den Demütigen gibt er Gnade. So grüßt der Engel Gabriel Maria: Sei gegrüßt, du Begnadete! Der Herr ist mit dir!

Was für alle unsere Grund- oder Wurzelsünden gilt, also diejenigen Sündenfolgen, die uns am meisten prägen und beherrschen, gilt auch für den Stolz: Wenn wir sie von Christus aufdecken, bezwingen und beherrschen lassen, liegt ihnen sogar eine große Verheißung. Wenn der Stolze Christus den Herrn in seinem Leben sein lässt, ihn in kindlichem Vertrauen annimmt und ihm seine ganze Misere übergibt, dann ist gerade der Stolze derjenige, der wahre und echte Demut leben kann.

Demut ist die Haltung, die alles empfangen will und nichts zu geben weiß. Eine Haltung, die eine innere Fröhlichkeit darüber erlangt, dass sie sich Gott allein verdankt.

„Ein Herz, dass Demut liebet, bei Gott am höchsten steht; ein Herz, dass Hochmut übet, mit Angst zugrunde geht; ein Herz, das richtig ist und folget Gottes Leiten, das kann sich recht bereiten, zu dem kommt Jesus Christ.

Ach, mache du mich Armen zu dieser heilgen Zeit aus Güte und Erbarmen, Herr Jesu, selbst bereit. Zieh in mein Herz hinein vom Stall und von der Krippen, so werden Herz und Lippen dir allzeit dankbar sein." Amen.