Predigt

(Pastor Gert Kelter am Buß- -und Bettag 2001)

Mit leeren Händen.

Und er ging durch Städte und Dörfer und lehrte und nahm seinen Weg nach Jerusalem.
Es sprach aber einer zu ihm: Herr, meinst du, dass nur wenige selig werden? Er aber sprach zu ihnen:
Ringt darum, dass ihr durch die enge Pforte hineingeht; denn viele, das sage ich euch, werden danach trachten, wie sie hineinkommen, und werden's nicht können.
Wenn der Hausherr aufgestanden ist und die Tür verschlossen hat, und ihr anfangt, draußen zu stehen und an die Tür zu klopfen und zu sagen: Herr, tu uns auf!, dann wird er antworten und zu euch sagen: Ich kenne euch nicht; wo seid ihr her?
Dann werdet ihr anfangen zu sagen: Wir haben vor dir gegessen und getrunken, und auf unsern Straßen hast du gelehrt.
Und er wird zu euch sagen: Ich kenne euch nicht; wo seid ihr her? Weicht alle von mir, ihr Übeltäter!
Da wird Heulen und Zähneklappern sein, wenn ihr sehen werdet Abraham, Isaak und Jakob und alle Propheten im Reich Gottes, euch aber hinausgestoßen.
Und es werden kommen von Osten und von Westen, von Norden und von Süden, die zu Tisch sitzen werden im Reich Gottes.
Und siehe, es sind Letzte, die werden die Ersten sein, und sind Erste, die werden die Letzten sein.
(Lk.13, 22-30)

Liebe Brüder und Schwestern,

einer der Jünger Jesu stellt die Frage: Herr, meinst du, dass nur wenige selig werden?

Das ist eine sehr besorgt klingende Frage, aus der Mitgefühl und Interesse für diejenigen zu sprechen scheint, die nicht zur kleinen Herde der Jünger gehören, die sich nicht öffentlich vor den Menschen und eindeutig in den Augen der Jünger als Nachfolger Christi zu erkennen gegeben haben. Tja, wenn man die alle abzieht, dann blieben nur noch die übrig, die da als kleiner Haufen hinter Jesus her durchs Land ziehen. Und das sind, er blickt sich kurz um, nur wenige. Aber die, das scheint sicher, werden selig werden. Über die, über uns, über mich, brauche ich mir also keine Gedanken zu machen. Aber die anderen - was wird mit denen?

Liebe Gemeinde, das ist ja nichts Verwerfliches, sich um die Nächsten zu sorgen, die zumindest für unsere Wahrnehmung in Distanz zu Jesus Christus leben. Es ist doch nichts dagegen zu sagen, Jesus Christus in aller Bescheidenheit einmal auf diejenigen aufmerksam zu machen, die nicht "vor ihm essen und trinken", also diejenigen, die nicht in Mahlgemeinschaft mit ihm ihr Leben teilen, die ihn nicht so treu und immer sichtbar zur Stelle begleiten. Und dann kann man doch eben auch einmal etwas traurig feststellen: Dann sind es wohl nur wenige, die selig werden. Und auf diese Feststellung könnte Jesus dann doch auch ruhig mal zustimmend antworten: Ja, so ist es, aber sei mal froh, dass du dazu gehörst.

Nur diesen Gefallen tut Jesus dem fragenden Jünger nicht, sondern sagt: Ringt ihr darum, dass ihr durch die enge Pforte eingeht; denn viele, das sage ich euch, werden danach trachten, wie sie hineinkommen, und werden’s nicht können.

Er gibt also die Frage zurück an den Fragesteller und sagt: Kümmere dich zuerst um dich selbst und überlass die anderen mir! Jesus unterstellt also, dass es bei dem Jünger noch manches gibt, um das zu kümmern es sich lohnt.

Liebe Brüder und Schwestern, der Jünger macht nichts anderes, als es auch Politiker versuchen, wenn sie sich außenpolitisch engagieren, sich als große Staatsmänner und Weltbeglücker feiern lassen, sich um die Nöte anderer Völker kümmern, um von innenpolitischen Schwierigkeiten abzulenken. Und übrigens auch in der Kirche scheint dieses Manöver beliebt zu sein, wenn man nur an das Thema der letzten EKD-Synode denkt, das eher nach einem Parteitagsmotto als nach einem Synodalthema klang: "Globale Wirtschaft verantwortlich gestalten" - sonst gibt’s wohl keine Probleme in der Kirche?

Und um nicht auch im kirchlichen Bereich nur auf die anderen zu blicken: Kennen wir das nicht auch aus unseren Gemeinden, ja von uns selbst? In der Gemeinde bin ich vielleicht die treue Säule aber in der Familie geht’s drunter und drüber und ich halte mich lieber die ganze Woche über im Gemeindezentrum auf, als vor Ort, bei meinen Kindern, in meiner Ehe Zeit und Liebe, Kraft und Phantasie zu investieren. Oder wir reden im Kirchenvorstand über die dringende Notwendigkeit, uns diakonisch, ökumenisch, missionarisch zu engagieren, überall dabei zu sein und mitzumachen, wir diskutieren und streiten über theologische Randfragen. Dabei sitzen im Gemeindebibelkreis seit Jahren nur ein paar wenige Menschen und 50 % der Gemeindeglieder lassen sich überhaupt nicht blicken.

"Ringt darum, dass ihr durch die enge Pforte eingeht", sagt Jesus.

Denn es wird die Stunde kommen, da ist die Tür verschlossen und vergesst nicht: Es könnte ja sein, dass dann gerade nicht die anderen, die euch jetzt scheinbar so am Herzen liegen, sondern ihr selbst draußen vor der Tür steht und klopft und heult und euch darauf beruft, treue Glieder der Gemeinde gewesen zu sein, regelmäßig am Hl. Abendmahl teilgenommen zu haben, jeden Sonntag die Predigt gehört zu haben. Und dann müsst ihr hören: Ich kenne euch nicht, wo seid ihr her? Weicht alle von mir, ihr Übeltäter. Die Pforte wird zu eng für euch sein.

Liebe Gemeinde: Das Bild von der engen Pforte macht es deutlich. Da steht einer davor mit einem Riesengepäck auf den Schultern. Taufe, Konfirmation, Abendmahl, Gottesdienste, Kirchentage, ehrenamtliches Engagement, Spenden und Kollekten, besten Kontakt zu allen Pastoren, die die Gemeinde je hatte, im Kirchengarten Unkraut gejätet bis zur Erschöpfung, Seminare besucht, Hausandachten gehalten und, und, und...

Und darauf beruft er sich gegenüber dem Hausherrn und versucht nun, sein vermeintliches Hausrecht dadurch zu erlangen, dass er sich mit diesem Gepäck als Eintrittskarte durch die enge Pforte zu quetschen versucht. Aber er bleibt stecken.

Und von außen muss dieser schwerbepackte dann auch noch erkennen, wer alles bereits die Schwelle überschritten hat: Abraham, Isaak, Jakob und alle Propheten. Gerade die werden genannt, die Jesus doch noch gar nicht kennen konnten.

Ich denke, liebe Mitchristen, das ist die Hölle: Vor dem Ziel erkennen, wo der richtige Weg war, begreifen, wo Heil und Leben und Seligkeit zu finden sind, aber in unüberbrückbarer Entfernung draußen vor bleiben müssen.

Aber was will Jesus Christus denn von seinen Jüngern, von uns? Er will, dass wir ihn kennen und dass er uns kennt. Der Begriff "Kennen" ist in der Bibel von Anfang an weit mehr als informative Kenntnisnahme. Kennen heißt: Lebendigen Umgang pflegen, Gemeinschaft miteinander haben, in innigster, vertrauensvoller Verbindung stehen. Kennen heißt lieben.

Es gibt ja auch Ehen, und ich habe so ein Beispiel in der Verwandtschaft erlebt, die werden geschieden und alle Welt wundert sich: Der Ehemann hatte doch getan, was er konnte. Acht Stunden harte Arbeit am Tag, um die Familie zu ernähren. Immer an den Hochzeitstag gedacht und einen Strauß Blumen gekauft. Es gab eigentlich nie Streit, immer ging man höflich und zuvorkommend miteinander um. Die Ehefrau wurde mit Schmuck, Eigenheim und Auto beschenkt. Wieso lassen die, gerade die sich scheiden und sie tut nun so, als kenne sie ihn nicht?

Die Antwort: Weil sie sich nie wirklich kannten. Weil die Liebe, die innige Vertrautheit, die nichts will als den anderen, weil das fehlte. Und das hört man dann in solchen Fällen immer wieder: da habe ich mir eben einen anderen gesucht, der mich wirklich versteht und liebt. Einen, der äußerlich nichts hermacht, nichts zu bieten hat, als nur sich selbst, das aber ganz.

Liebe Gemeinde, der Buß- und Bettag ruft uns in Erinnerung, worauf es wirklich ankommt: Ich soll Gott lieben und vertrauen mit allem was ich bin und mir an seiner Gnade genügen lassen. Denn Gottes Gnade ist in mir Schwachem mächtig. Und je stärker ich mir meiner Schwachheit bewusst bin, desto größer und wichtiger wird mir die Gnade Jesu Christi. Und je größer die Gnade in meinem Leben wird, desto größer wird die Liebe und das Vertrauen zu dem, der allein gnädig heißt. Denn als der gnädige und barmherzige Gott hat sich der Herr der Welt in Jesus Christus den Menschen zu erkennen gegeben. Darin, dass er der gnädige und barmherzige Gott ist, hat er uns sein Wesen offenbart. Gott so zu erkennen, ihn so zu kennen, heißt Gott zu lieben. Dazu gehören leere Hände und die Bereitschaft, sie von Gott füllen zu lassen. Das ist ein leichtes, ein ganz leichtes Gepäck. Und wer mit diesen leeren Händen und diesem liebenden und ganz auf Gottes Gnade vertrauenden Herzen vor der engen Pforte steht, der wird unbeschwert durchpassen.

Dazu muss ich aber zuvor vieles loslassen. Vieles, was mir Leben zu sein scheint, aber doch keines ist. Dazu gehört das Vertrauen, dass Gott mich nicht zu kurz kommen lassen will, dass er es ganz bestimmt nicht zulassen wird, dass ich zu den Letzten gehöre. Diese Bewegung des Loslassens, um frei zu werden für das, was Gottes Gnade mir schenkt, heißt Buße. Das geschieht nicht einmal im Jahr, sondern ein ganzes Leben lang.

Lasst uns also heute nicht die Sünden der anderen bekennen und bedauern, sondern selbst miteinander vor Gott bekennen, dass wir gesündigt haben mit Gedanken, Worten und Werken und auch aus eigener Kraft uns von unserem sündigen Wesen nicht erlösen können. Darum nehmen wir Zuflucht zu der grundlosen Barmherzigkeit Gottes, unsres himmlischen Vaters, begehren Gnade um Christi Willen und sprechen: Gott, sei mir Sünder gnädig!

L+G: Der allmächtige Gott erbarme sich unser, er vergebe uns unsere Sünde und führe uns zum ewigen Leben. Amen.

L: Der allmächtige, barmherzige Gott hat sich unser erbarmt, seinen einzigen Sohn für unsere Sünde in den Tod gegeben und um seinetwillen uns verziehen, auch allen denen, die an seinen Namen glauben, Macht gegeben, Gottes Kinder zu werden, und ihnen seinen heiligen Geist verheißen. Wer da glaubt und getauft wird, der wird selig werden. Das verleihe Gott uns allen.

G: Amen.