Predigtsplitter

(Pastor Gert Kelter am Gedenktag der Entschlafenen,

Vorletzter Sonntag im Kirchenjahr 2000)

Himmel und Hölle

…Abraham aber sprach: Gedenke, Sohn, daß du dein Gutes empfangen hast in deinem Leben, Lazarus dagegen hat Böses empfangen; nun wird er hier getröstet, und du wirst gepeinigt. Und überdies besteht zwischen uns und euch eine große Kluft, daß niemand, der von hier zu euch hinüber will, dorthin kommen kann und auch niemand von dort zu uns herüber. Da sprach er: So bitte ich dich, Vater, daß du ihn sendest in meines Vaters Haus; denn ich habe noch fünf Brüder, die soll er warnen, damit sie nicht auch kommen an diesen Ort der Qual. Abraham sprach: Sie haben Mose und die Propheten; die sollen sie hören. (Luk. 16, 25-29)

Liebe Schwestern und Brüder!


Die Geschichte vom armen Lazarus und dem reichen Mann, die Jesus den Pharisäern erzählt, will ja eigentlich etwas ganz anderes  sein als eine bloße Beschreibung von Himmel und Hölle. Zugrunde liegt möglicherweise ein altes ägyptisches Märchen, das von alexandrinischen Juden nach Palästina gebracht wurde und das darum auch Jesus bekannt und geläufig war. Wenn nun aber Jesus diese Geschichte – und sei es ein ägyptisches Märchen irgendwann einmal gewesen – erzählt, wenn er sie verändert, mit eigenen Akzenten versieht, dann wird sie dadurch zu nichts weniger als zu Gottes Wort. Und die Einzelheiten, so sehr sie bildhaft und gleichnishaft zu verstehen sind, haben dann Bedeutung und Gewicht für unser Fragen nach dem Tod und dem wie auch immer gearteten Danach…

Wir fragen Jesus: Was heißt das eigentlich: Hölle und was heißt das eigentlich: Himmel? Jesus sagt zunächst, daß es so etwas wie eine Hölle – auch wenn das sehr unmodern klingt – und so etwas wie einen Himmel gibt. Das setzt seine ganze Geschichte voraus – er hätte sie sich sonst sparen können. Die Hölle – das ist der Kern der Worte Jesu – ist ein Ort der Qual. Und diese Qualen haben verschiedene Aspekte:
a) Hölle heißt ewiges Ungeborgensein, ein endgültiges Nicht-mehr-nach-Hause-kommen-können. Lazarus ist geborgen „wie in Abrahams Schoß“, von Engeln dorthin getragen und geleitet, der Reiche nicht.

b) Hölle heißt ewiges und ewig unstillbares Verlangen nach Erlösung, ewige und ewig unstillbare Sehnsucht nach Leben in Fülle, von dem man jetzt weiß, daß es das gibt und von dem man zugleich weiß, daß man es nie mehr haben wird. Diese Erkenntnis brennt wie Feuer. Daraus sind viele, gerade auch mittelalterliche Bilder von der Hölle verstehbar.- Und der Reiche wünscht nichts mehr, als das Lazarus das Äußerste seines Fingers ins Wasser tauche und seine Zunge kühle. Aber schon das ist ein unerfüllbarer Wunsch. Lazarus dagegen sitzt ganz offensichtlich an der Quelle des Lebens, in die er das Äußerste seines Fingers eintauchen könnte. Lazarus genießt ganz offensichtlich das Leben in seiner ganzen Fülle.

c) Hölle heißt Abbruch aller Beziehungen, Verlust von Kommunikation und Gemeinschaft. Abraham sagt dem Reichen: Zwischen uns und euch ist eine Kluft befestigt, daß die da wollten hinüberfahren zu euch könnten nicht und auch nicht die von dort zu uns herüber. Von Lazarus wird dagegen kein einziges Wort überliefert. Wir hören nicht an einer Stelle in diesem ganzen Evangelium, daß Lazarus etwas gesagt hätte. Er nimmt die Hölle und dieses Bittgespräch zwischen dem Reichen und Abraham überhaupt nicht wahr. Er ist in vollkommener Gemeinschaft mit Gott, er hat die Erfüllung gefunden und nur die erlebt er bewußt als Individuum.

d) Hölle heißt auch bewußtes Weitererleben des irdischen Leides, der Verblendung der Menschen, die ungeachtet aller Warnungen ohne Gott leben, gegen Gottes Gebote handeln und so ausweglos in ihr Verderben laufen. Gleichzeitig heißt Hölle auch, die eigene Ohnmacht zu erleben, von diesem Ort aus in das Unheilsgeschehen da auf der Erde eingreifen zu können. Und damit meint Hölle auch die bewußte Erkenntnis, daß ich mein Leben verfehlt habe, daß meine Grundentscheidung, ohne und gegen Gott zu leben, mit dem irdischen Tod endgültig und unumkehrbar geworden ist.

Liebe Gemeinde, viele nicht-glaubende Menschen sagen: Mir ist es egal, wenn mit dem Tod alles aus ist…Ich versuche, aus diesem Leben das Beste für mich zu machen und dann ist es eben aus und wozu brauche ich da einen Gott? Liegt der Irrtum nicht vielleicht darin, daß viele Menschen unter Tod automatisch auch die Auslöschung des Bewußtseins verstehen? Warum muß das eigentlich so sein? Es gibt viel neu-heidnische, esoterische, fernöstliche Religionen, die mit Christus nichts zu tun haben wollen, aber ganz selbstverständlich - und zwar sehr übereinstimmend – davon ausgehen, daß das Bewußtsein des Menschen nicht unbedingt nach dem Tod ausgelöscht ist…Die Worte Jesu zeigen jedenfalls, daß es anders ist…Das nennt die Kirche in der Bildersprache der Bibel „Hölle“. Was nützt das pralle irdische Leben ohne Gott, wenn sie recht hat?

Auf der anderen Seite Lazarus: Er hat überwunden den Tod, das Leid, die Tränen, die Not, er kennt das Ziel und weiß, daß alles Leid dieser Welt ein Ende haben wird. Ihm muß nicht bange sein um die, die im Vertrauen auf Gott leben. Zeit ist für ihn auch kein Faktor mehr. Nicht einmal die Frage: Muß das denn nicht die Freude der Ewigkeit trüben, wenn auf der Erde noch so viel Leid ist? Nicht einmal die Frage dringt an sein Ohr. Lazarus erkennt in der Geborgenheit Gottes: Mein Leben war gerade so, wie es war, mit allem, was ich zu Lebzeiten als so leidvoll, als so schwer empfunden habe, ein sinnvolles, ein erfülltes Leben. Und mein Lebensweg war gerade der einzige, der mich zum Ziel bringen konnte. Es war nichts vergeblich, es war keine Not willkürlich, es war nichts umsonst. Diese Erkenntnis gehört zu dem, was wir „Himmel“ nennen.

Liebe Gemeinde, nachdem wir jetzt die volkstümlichen Begriffe Himmel und Hölle aus ihren überlieferten bildhaften Umrahmungen gelöst und inhaltlich gefüllt haben, wollen wir uns den Dialog zwischen dem Reichen und dem Armen näher ansehen…

„Nein, Vater Abraham, sondern wenn einer von den Toten zu ihnen ginge, dann würden sie Buße tun“. Dieses Nein aus der Hölle zeigt ein weiteres mal, daß für die, die am Ort der Verdammnis sind, kein Zugang mehr besteht zum Glauben und auch keine neue Glaubenserkenntnis mehr entstehen kann. Als auf ewig vom Wort Gottes Getrennter will der Reiche darauf kein Vertrauen setzen, daß nur dieses Wort Gottes seinen Brüdern helfen wird. „Nein!“ sagt er. Das Wunder soll Angst und die Angst dann irgend etwas bewirken, das er zwar Buße nennt, das aber nie wirkliche Umkehr sein kann: Aus Angst wird keine Liebe geboren.

Abraham schließt den Dialog und sagt: hören sie Mose und die Propheten nicht, so werden sie auch nicht glauben, wenn jemand von den Toten aufersteht. Damit läßt Jesus Abraham ein doppeltes sagen: „Mose und die Propheten“, die hebräische Bibel (unser Altes Testament), ist die Grundlage des Glaubens. Darin stehen alle Verheißungen, die sich in Jesus Christus erfüllt haben. Die muß man kennen, um die Erfüllung verstehen zu können. Ohne „Mose und die Propheten“ bliebe auch das Evangelium von der Auferstehung Jesu ein Wunderbericht unter anderen. Daß Jesus der verheißene Erlöser, der Sohn Gottes ist, der leiden und sterben mußte für die Sünde der Welt, das erkennt nur der wirklich , der auch die Verheißung aus Gottes Wort glaubt.

Das zweite: Die Brüder, das läßt Jesus  nur anklingen, werden sich auch von meiner (Jesu) Auferstehung nicht beeindrucken lassen, wenn sie dem Wort Gottes ausweichen und nur das Wunder sehen. Gottes Wort allein ruft zur Umkehr und wirkt die Umkehr auch im Glauben…

Christen glauben: Der Tod hat nicht das letzte Wort über die, die an Jesus Christus glauben. Er hat zwar ein Wörtchen mitzureden…aber es ist ihnen eine große Gelassenheit geschenkt. So, wie der Tod selbst nur das vorletzte Wort hat, haben auch alle Dinge, alle Menschen, alle menschlichen Beziehungen dieses Lebens keine letzte Bedeutung mehr. Sie sind Vorläufiges und Vorletztes. Sein Herz daran zu hängen, wie an einen Gott, lohnt sich nicht. Sein Vertrauen darauf zu setzen ist unnütz, zu verzweifeln wenn sich diese Dinge nicht als beständig und ewig erweisen, ist grundlos. Das Leben für nicht lebenswert zu halten, weil man irgendein berufliches Ziel nicht erreicht hat oder sich das eine oder andere nicht leisten kann oder auch der hohe Wert der Gesundheit oder des Beziehungsglückes sich als brüchig erweist, dazu besteht keine Veranlassung…

Auch das gehört zum Glauben an die Auferstehung und zum Glauben an Himmel und Hölle: Wir haben hier keine bleibende Statt, aber wir haben hier einen Auftrag! Wir sind berufen, Gottes Wort vom Leben, das Evangelium Jesu Christi von der Erlösung und vom Heil aller Menschen mit unseren Möglichkeiten in unserem kleinen Lebensfeld mit Wort und Tat zu bezeugen…

Es gibt also für die Kirche keine Alternative: Moderne oder Mittelalter, Himmel und Hölle oder bewußtloses Aufgehen in allem. Die Kirche muß das ganze Evangelium predigen und immer vor dem Horizont der Ewigkeit, immer vor dem letzten Ernst des Wortes, das als Spruch über dieser Woche steht, nämlich: Wir müssen alle vor dem Richterstuhl Gottes offenbar werden. Und predigt die Kirche das nicht, verkürzt sie das Evangelium lieblich und mundgerecht, versucht sie mit ein bißchen Seelsorge, Psychologie, Lebensberatung, Freizeitgestaltung, Diakonie und politischem Engagement aus den vielen armen Lazarussen dieser Welt reiche Leute zu machen, dann wird sie sich einmal fragen lassen müssen, ob sie nicht schuld daran ist, daß die Hölle überfüllt ist, daß so viele Reiche oder vermeintlich Reiche das Ziel des Lebens verfehlt haben. Gott hat das erste Wort, er wird auch das letzte haben. Amen.

(Tonbandaufzeichnung, W.E.)