Predigt auf den 1. Advent  2000 (02.12.)                     Bethlehem Hannover

 

Lk 1, 67-79

 

Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt. Amen.

 

Gottes Hl. Wort an uns heute im Evangelium nach Lukas im 1. Kapitel: -Verlesung-

 

Der Herr segne uns durch sein Wort. Amen.

 

Liebe Schwestern und Brüder,

manchmal zwingt Gott die Frommen zum Schweigen.

Wenn die Frömmigkeit zur Gewohnheit erstarrt und nichts mehr wirklich Großes von Gott erwartet. Wenn die Frömmigkeit die Größe Gottes preist und gar nicht mehr merkt, wenn sich der große Gott ganz konkret in meinem eigenen Leben zu Wort meldet. Wenn die Frömmigkeit von Demut und Leidensbereitschaft singt und doch das Leiden aus Gottes Hand nicht annehmen will. Dann zwingt Gott die Frommen manchmal zum Schweigen, um ihnen einen neuen Anfang zu ermöglichen.

So ging es dem Priester Zacharias, der treu und gottesfürchtig seit Jahren und Jahrzehnten im Tempel seinen Dienst tat. Seiner Frau Elisabeth und ihm waren Kinder verwehrt worden. Kinder, der sichtbare Segen des barmherzigen Gottes. Unbeirrt vom Gerede und Getuschel der Verwandten und Nachbarn hielt er fest an seinem Gott. Der nagende innere Zweifel konnte ihn nicht daran hindern, im Tempel zu beten und zu opfern. Das Gefühl zu kurz gekommen zu sein brachte ihn nicht davon ab, nach Gottes Geboten und Gesetzen, nach den Ordnungen der Väter und Schriftgelehrten zu leben. Das alles war ein lebenswichtiges, ein überlebenswichtiges Korsett für den Priester Zacharias geworden, das sein Leben äußerlich zusammenhielt und vor dem Zusammenbrechen, dem Ausbrechen schützte.

So geht es nicht wenigen, die Sonntag für Sonntag in den Gottesdiensten sitzen, die Psalmen singen und ihr Amen unter Predigten und Gebete sprechen. Nicht wenigen, die uralt werden mit ihren enttäuschten Hoffnungen, ihren zerbrochenen Sehnsüchten, ihren Zweifeln, ihren inneren Nöten und Ängsten vor dem Leben, vor dem Sterben und vor dem Tod.

Aber einzugestehen, dass die Frömmigkeit vergeblich auf Lohn warten musste, zuzugeben, dass das Festhalten an den Formen und Sitten des Glaubens sich nicht auszahlten, das bedeutete den Sturz ins Bodenlose.

Zur Stunde des Rauchopfers, mitten in der Verrichtung des heiligen Dienstes, trifft den Priester Zacharias das Wort des lebendigen Gottes und sagt ihm: Dein Gebet, das routinierte, schon aufgegebene, das kraftlose, nur mit Anstrengung und Mühe, nur aus Pflicht und Treue gesagte Gebet ist erhört worden. Deine Frau Elisabeth wird einen Sohn gebären, Johannes sollst du ihn nennen, das heißt: Gott, der Barmherzigkeit übt. Und der wird viele Kinder Israels zu Gott bekehren und die Herzen der Väter zu ihren Kindern, um dem Herrn ein Volk vor Augen zu stellen, das bereit für sein Kommen ist.

So geschah es, dass mitten im uraltehrwürdigen Lobpreis der Größe Gottes sich der große Gott im Leben des Priesters Zacharias zu Wort meldete. Unangemeldet, unvorbereitet, schon gar nicht mehr erwartet. „Wie soll ich das verstehen, ich bin alt, meine Frau hochbetagt?“ – So fragt Zacharias mit der lebenserprobten, unerschütterlich pessimistischen Vernunft, die sich in dieser Zeit und Welt Realismus nennt. Mit anderen Worten: Füge dich, Gott, den unabänderlichen Gesetzen der Natur, so wie ich das auch tue. Tun muß seit Jahrzehnten.

Und der große Gott lässt sich von Zacharias, dem Frommen, in die Schranken weisen, schleudert keine Blitze vom Himmel, sondern verschließt den Mund des Zweiflers, um ihn daran zu hindern, sich selbst noch tiefer in Zweifel und Unglauben, in diesen Sog aus Selbstmitleid und frommer Arroganz hineinzuziehen.

Ja, manchmal zwingt Gott die Frommen zum Schweigen.

Das Kind wird geboren. Der Sohn wird entbunden und nach alter Sitte und nach dem Willen der Familie nach seinem Vater „Zacharias“ genannt.

Nur Elisabeth, die Mutter, bricht aus den frommen Traditionen aus. Wieso, warum, weshalb – das bleibt im Dunkeln. Sie besteht darauf: Er soll Johannes heißen. Und alle Blicke richten sich auf den stummen Patriarchen, den seit neun Monaten schweigenden Herrn des Hauses. „Er heißt Johannes.“, schreibt der auf ein Täfelchen. Kein Zweifel ist da mehr zu spüren. Da ist etwas aufgebrochen und macht sich Bahn in diesem kurzen Satz, der nur feststellt, was an höherer Stelle beschlossen und besiegelt wurde.

Johannes, das heißt: Gott ist der, der Barmherzigkeit übt.

Und damit ist der Bann des Schweigens gebrochen. Die  Frömmigkeit des alten Priesters ist wieder lebendiger Glaube geworden, die Formen füllen sich wieder mit Inhalt, die Formeln der alten Gebete werden zu geisterfüllter Hymne auf die Größe Gottes.

Als hätte der heilige Geist ihn gerade in diesem Moment erfasst, sprudelt der Lobgesang aus Zacharias Mund wie ein erfrischender Platzregen auf dürres, durstiges Land.

Und doch war er neun Monate lang schwanger gegangen, hatte er in der Verschwiegenheit sein Leben überdacht und Gottes Wort in seinem Herzen bewegt. Und Gottes Wort hatte in seiner Wortlosigkeit sein Herz bewegt und empfänglich gemacht für die barmherzige Liebe Gottes, der seines heiligen Bundes gedenkt und an den Eid, den er Abraham geschworen hatte.

Und über dem neugeborenen Sohn erlebt der Alte seine eigene neue Geburt und besingt und preist, wieder jung wie ein Adler, den Herrn, den Gott Israels.

Liebe Gemeinde, das Kind, über dem Zacharias den Gott Israels preist, sollte der letzte der Propheten des Alten Bundes und schon der erste Prophet des Neuen und ewigen Bundes sein. Fünfhundert Jahre waren vergangen, seit Maleachi, der letzte der Schriftpropheten des Alten Bundes, im Auftrag Gottes  gepredigt hatte: „Siehe, ich will euch senden den Propheten Elia, ehe der große und schreckliche Tag des HERRn kommt. Der soll das Herz der Väter bekehren zu ihren Söhnen und das Herz der Söhne zu ihren Vätern, auf dass  ich nicht komme und das Erdreich mit dem Bann schlage.“ (Maleachi 3, 23-24). So lauten die letzten Worte des Buches Maleachi.

Danach schwieg der Gott Israels 500 Jahre lang.

Fünfhundert Jahre, in denen das Schweigen Gottes wie Finsternis und Schatten des Todes auf die Erde fielen. Jahrhunderte, in denen Fromme und Schriftgelehrte aus Gottes barmherziger Liebe ein ausgeklügeltes System der Selbsterlösung durch Korrektheit, Gesetzestreue und selbstgemachte Scheinvollkommenheit aufrichteten.

Versucht es doch, predigt später Johannes in der Wüste. Tut es doch einfach, was Gott von euch verlangt. Wer zwei Röcke hat, der gebe dem, der keinen hat. Und wer Speise hat, tue auch also. Und ihr Zöllner: Fordert nicht mehr, als euch verordnet ist. Und ihr Soldaten: Tut niemand Gewalt noch Unrecht, begnügt euch mit eurem Sold.

Ja, liebe Mitchristen: Tun wir es doch einfach. Geben wir von unserem Überfluß doch einfach alles denen, die nichts haben. Wir werden immer noch genug übrigbehalten. Machen wir es doch. Die Welt würde sich vollkommen verändern. Es ist doch keine Überforderung für Beamte oder Politiker, einfach nur auf Korruption und Vetternwirtschaft zu verzichten und nur das zu tun, was sie dem Gesetz nach tun müssen. Die Gerechtigkeit würde schlagartig zunehmen, das Leben und das Zusammenleben würde einfacher, angenehmer.

Die Gesichter derer, die der Predigt Johannes des Täufers zuhörten, sprachen Bände: Ja,---aber---, schien jedes einzelne zu sagen.

Machbar wäre das alles schon. Aber wer soll damit anfangen, etwa ich? Und nur das Nötige zu behalten, um das Überflüssige den Bedürftigen zu geben, das hieße ja Verzicht, Einschränkung, totale Veränderung meines Lebensstils. Man hat schließlich Verpflichtungen, einen gewissen Lebensstandard, der entsprechende Mittel erfordert, um ihn halten zu können.

Der Täufer merkte ganz genau, wer sich da in die Ohren seiner Zuhörer schlängelte und mit gespaltener Zunge fragte: Ja, sollte Gott wirklich gesagt haben...?

Schlangenbrut und Otterngezücht, Nachkommen der ersten Sünder, Kinder des Teufels – so würde Johannes sie deshalb nennen und damit als die bezeichnen, die sie sind.

Die totale Predigt des Gesetzes Gottes würde ihn später seinen Kopf kosten, weil ein König namens Herodes es nicht hinnehmen wollte, von einem Wüstenprediger als Schlangenbrut, als Ehebrecher und Unzüchtiger bezeichnet zu werden. Und weil er nicht, nur um das zu vermeiden, sein Leben zu ändern gedachte. Mit allen Konsequenzen, versteht sich.

Liebe Gemeinde: Warum tun wir es denn nicht, was Johannes da an schlichten einfachen Grundsätzen predigt? Wir haben doch zwei Mäntel, ein volles Gehalt, eine Wohnung, ein Auto. Warum geben wir nicht 50 %, die Hälfte davon denen, die gar nichts haben? Warum machen wir nicht einfach diesen Anfang und gefallen uns statt dessen darin, wenn wir 3 oder vielleicht sogar 10 % geben und uns von den restlichen 90 % ein neues Auto oder einen Urlaub leisten?

Die Johannespredigt trifft uns heute, nach 2000 Jahren, noch genauso wie die Zuhörer in der Wüste damals.

Wir wissen genau, dass es ginge, und wir wissen genau, dass es nicht geht.

Es muß erst alles untergehen, alles ertränkt werden und alles neu werden, bevor wir ein Leben nach dem Willen Gottes führen können.

Die Menschen damals haben das instinktiv begriffen und ließen sich von Johannes im Jordan taufen. Sie ließen sich im Wasser des Jordans untertauchen und hofften, danach neu anfangen zu können.

Aber der Himmel tat sich über ihnen noch nicht auf. Gott schwieg weiterhin. Die Taufe, die ich mir selbst auferlege, durch die ich meine Sünden abwaschen will, die ein Eingeständnis meiner Schuld aber noch kein Bekenntnis zum allein barmherzigen, gnädigen, vergebenden, versöhnenden Gott ist, diese Taufe wird mit Schweigen quittiert.

Noch ist alles vorläufig. Johannes, der Vorläufer, der, der dem Herrn vorangeht und ihm den Weg bereitet, tut Vorläufiges.

Aber dann erscheint er selbst, Jesus, das A und das O, der Erste und der Letzte.

Er nimmt die Unvollkommenheit, unsere Vorläufigkeit auf sich, indem er sich von Johannes taufen lässt. Mit ihm ertrinkt unsere Gottlosigkeit, unsere Halbherzigkeit, unsere bessere Einsicht und unsere Unfähigkeit, danach zu leben in den Fluten des Jordan. Und mit ihm tauchen auch wir wieder auf aus der Sintflut zu einem neuen Leben.

Und da geschieht, was seit Jahrhunderten auf sich warten ließ: Der Himmel reißt auf und Gottes Stimme wird hörbar und sagt: Das ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.

Da hat sich die Prophezeihung der Väter erfüllt, von der Zacharias, erfüllt vom heiligen Geist, gesungen hatte: Durch die barmherzige Liebe unseres Gottes hat uns besucht das aufstrahlende Licht aus der Höhe, um allen zu leuchten, die in Finsternis sitzen und im Schatten des Todes und lenkt unsere Schritte auf den Weg des Friedens.

Liebe Gemeinde, manchmal verordnet Gott uns Frommen ein Schweigen, damit wir sein Wort empfangen und damit schwanger gehen und es austragen können. Damit dieses Wort reifen und wachsen kann, damit es schließlich auch Frucht bringen kann.

Die Adventszeit kann so eine Zeit des Schweigens sein. Wir können diese Wochen vor dem Fest der Ankunft Gottes in unserer Welt, in unserem Fleisch, in den lauten und lärmenden Oasen der Fußgängerzonen und Kaufhäuser verbringen und so verpassen. Wir können sie aber auch in einer selbstgewählten Wüste, in schweigsamer Ruhe, in Andacht, Umkehr, Besinnung und bewusstem Verzicht nutzen.

Und in solchem Schweigen wird Gott reden. Und er wird unseren Mund zu einem ganz neuen Loblied öffnen und vielleicht unser ganzes Leben zu einem Lobgesang auf seine barmherzige Liebe machen. Das schenke Gott uns allen.

Amen.

SDG / HDD

Der Friede Gottes, der höher ist, als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christo Jesu. Amen.