Geschichte der Bethlehemsgemeinde
Um die Entstehung der Bethlehmsgemeinde zu verstehen, ist es wichtig, die drei Begriffe Union, Rationalismus und konfessionell-lutherische Erweckungsbewegung näher zu beleuchten:
Union: Im 19. Jahrhundert (um 1830) existierten in Deutschland die reformatorischen Kirchen als konfessionelle (also entweder reformierte, auf Zwingli und Calvin zurückgehende oder lutherische, also auf die Reformation Luthers zurückgehende) Staats- oder Landeskirchen in den einzelnen deutschen Staaten.
Besonders in Preußen, und dort gefördert durch König Friedrich Wilhelm III., gab es politisch und religiös motivierte Bestrebungen, diese eigenständigen konfessionellen Landeskirchen zu vereinheitlichen. Man hatte das Bewußtsein für die konfessionellen Unterschiede weitgehend verloren. Die kontroversen Lehrauseinandersetzungen früherer Jahrhunderte hielt man für überholte Zankereien. Auf einem kleinsten gemeinsamen theologischen Nenner meinte man, die durchaus bestehenden Gemeinsamkeiten als ausreichend für eine Kirchenvereinigung feststellen zu können.
Als es gegen die vom König durch Kabinettsordre (Staatsgesetz) zwangsverfügte Einführung der Kirchenunion zwischen Reformierten und Lutheranern auf beiden Seiten zu Widerständen kommt, wird die Union teilweise auch unter Gewaltanwendung in den preußischen Landeskirchen durchgesetzt. Zunächst in Schlesien, dann in ganz Preußen, entsteht eine später so genannte „alt-lutherische Bewegung", die sich für den Erhalt einer lutherischen Landeskirche in Preußen stark macht und sich gegen die neue, sogenannte „Evangelische Kirche" ausspricht.
Kennzeichnend ist hierbei eine modern anmutende bewußte Übernahme von Verantwortung für Glauben und Kirche durch Gemeinden und Pfarrer als Ausdruck christlicher Mündigkeit.
Die „Altlutheraner" werden vom preußischen Staat zunächst heftig drangsaliert und verfolgt, was zu Auswanderungswellen nach Nord- und Südamerika, sowie Australien führt und dort zur Entstehung konfessionell eindeutiger lutherischer Auswandererkirchen führt.
Erst 1845 mit dem Regierungsantritt Friedrich Wilhelms IV. werden die Altlutheraner geduldet und dürfen eine eigenständige „Evangelisch-lutherische Kirche in Preußen" (mit Sitz in Breslau) bilden.
1866 annektiert Preußen das Königreich Hannover und führt in den Garnisonsgemeinden Hannovers die Kirchenunion ein. Der Unionsgedanke war damit auch in der bislang lutherischen Landeskirche Hannovers eingepflanzt.
Rationalismus: Schon seit längerer Zeit (spätestens seit der französischen Revolution 1789) war der Rationalismus (die Grundüberzeugung, daß die menschliche Vernunft das Maß aller Dinge sei) auch in die Kirchen eingedrungen und hatten zu einer teilweise extremen Liberalisierung und Verwässerung der Theologie geführt. Vor allem die Autorität der Hl. Schrift als Quelle, Grundlage, Regel und Richtschnur des Glaubens wurde radikal infrage gestellt oder ganz abgelehnt. Die Bekenntnisse der Reformation wurden entweder ganz ignoriert oder als unzeitgemäße historische Dokumente ohne verbindliche Bedeutung für die Kirche der Gegenwart verstanden. An den (staatlichen) theologischen Fakultäten wird der Pfarrernachwuchs entsprechend geprägt.
Erweckung: Längst nicht alle Pastoren und Gemeindeglieder waren jedoch bereit, sich diesen Strömungen widerstandslos zu beugen. Eine große Gegenbewegung bildet der Pietismus, dem es um eine erweckliche Herzensfrömmigkeit geht, der aber nicht immer konfessionell eindeutig ausgerichtet ist. In Sachsen entstehen sog. „Lutheranervereine", die sich mit dem ernsten Studium der Hl. Schrift und der luth. Bekenntnisse befassen.
Vor allem in der Lüneburger Heide, um die Brüder Ludwig (Louis) und Theodor Harms (mit dem Zentrum in Hermannsburg) entsteht eine betont lutherische Erweckungsbewegung mit stark missionarischer Ausrichtung.
Hannover: Als der Kleine Katechismus Luthers aus dem Lehrplan des schulischen Religionsunterrichtes entfernt wird und die preußische Zivilehe (mit der Möglichkeit der Scheidung) im Königreich Hannover eingeführt werden soll, wird der Widerstand der konfessionellen Lutheraner deutlicher. Die Hannoversche Landeskirche ändert (obwohl sie dies auf staatliche Veranlassung nicht mußte) die Liturgie der kirchlichen Trauung, die nicht mehr als „eheliche Zusammensprechung", sondern nur noch als Segnung einer bereits standesamtlich geschlossenen Zivilehe verstanden wird.
Bekenntnisbewußte Lutheraner in Hannover sehen hierin den Anlaß, die Landeskirche zu verlassen und eine eigenständige (also sowohl von der Landeskirche als auch vom Staat unabhängige) bekenntnisgebundene lutherische Gemeinde (und Kirche) zu bilden.
Bethlehemsgemeinde: Vor diesem Hintergrund wird am 8. Januar 1885 die Bethlehemsgemeinde Hannover gegründet. Sie wird im selben Jahr Teil der in Sachsen entstandenen „Ev.-Luth. Freikirche" und gibt sich am 2. März 1886 den Namen „Bethlehemsgemeinde".
Am 1. Mai 1887 kann sie die Bethlehemskapelle auf dem von ihr erworbenen Kirchengrundstück in der Großen Barlinge weihen.
Von hier aus werden in Hördinghausen, Bremen, Braunschweig, Hamburg und Uelzen bekenntnistreue Lutheraner gesammelt und geistlich versorgt. In vielen Fällen entstehen aus solchen „Predigtplätzen" bis heute existierende bekenntnisgebundene lutherische Kirchengemeinden.
Bei den schweren Bombenangriffen am 8. und 9. Oktober 1943
bleibt wie durch ein Wunder die Bethlehemskirche nahezu unversehrt.
Die in Deutschland überall entstandenen selbständigen lutherischen Kirchen schließen sich am 24. Juni 1972 zur heutigen Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche zusammen.
Heute ist die Bethlehemsgemeinde Hannover Teil des Pfarrbezirks Hannover-Hildesheim, des Kirchenbzirks (Diözese) Niedersachsen-Süd und des Sprengels Nord der SELK.
Im Jahr 2000 konnte ein neues, modernes Gemeindezentrum neben der Kirche gebaut und geweiht werden.
Seit 1975 ist Hannover Sitz des Bischofs und der
Kirchenleitung der SELK. In der Bethlehemskirche hat der Bischof der SELK seinen
Altar und seine Kanzel.
Damit ist die Bethlehemskirche vermutlich „die kleinste Kathedrale Deutschlands".
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