19. Sonntag nach Trinitatis 11.10.2015, von P. Heyn

 

 

Predigt üb. Mk 2,1-12
Nach einigen Tagen ging Jesus wieder nach Kapernaum; und es wurde bekannt, dass er im Hause war. Und es versammelten sich viele, so dass sie nicht Raum hatten, auch nicht draußen vor der Tür; und er sagte ihnen das Wort. Und es kamen einige zu ihm, die brachten einen Gelähmten, von vieren getragen. Und da sie ihn nicht zu ihm bringen konnten wegen der Menge, deckten sie das Dach auf, wo er war, machten ein Loch und ließen das Bett herunter, auf dem der Gelähmte lag. Als nun Jesus ihren Glauben sah, sprach er zu dem Gelähmten: „Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben.“
Es saßen da aber einige Schriftgelehrte und dachten in ihren Herzen: „Wie redet der so? Er lästert Gott! Wer kann Sünden vergeben als Gott allein?“ Und Jesus erkannte sogleich in seinem Geist, dass sie so bei sich dachten, und sprach zu ihnen: „Was denkt ihr solches in euren Herzen? Was ist leichter, zu dem Gelähmten zu sagen: Dir sind deine Sünden vergeben, oder zu sagen: Steh auf, nimm dein Bett und geh umher? Damit ihr aber wisst, dass der Menschensohn Vollmacht hat, Sünden zu vergeben auf Erden“ – sprach er zu dem Gelähmten: „Ich sage dir, steh auf, nimm dein Bett und geh heim!“ Und er stand auf, nahm sein Bett und ging alsbald hinaus vor aller Augen, so dass sie sich alle entsetzten und Gott priesen und sprachen: „Wir haben so etwas noch nie gesehen.“

Liebe Gemeinde,
die Geschichte von der Heilung des Gelähmten, oder wie es altdeutsch hieß: des Gichtbrüchigen, der auf seiner Trage durch ein Loch im Dach herabgelassen wurde und Jesus vor die Füße gelegt wurde, kennen wir alle wahrscheinlich seit Kindertagen. Der holländische Künstler Kees de Kort hat sie in einmalig schöner Weise in Bildern dargestellt, die Kinder wie Erwachsene gleichermaßen ansprechen.

Natürlich könnten wir uns jetzt alle Details der Geschichte aufrufen und vor Augen malen und immer erneut ins Staunen darüber kommen, was damals passiert ist. Wenn ich mir nur vorstelle: Ich wäre der Kranke gewesen und wäre auf meiner Trage aus dem Rettungswagen der Feuerwehr festgeschnallt worden, und man hätte mich hier durchs Kirchendach herabgelassen auf den Fußboden! Das wäre ein Ding gewesen!

Und auch die kleine unscheinbare Bemerkung am Anfang dieser Geschichte, die wir aber auch heute beiseitelassen, finde ich spannend: „Es versammelten sich viele, so dass sie nicht Raum hatten, auch nicht draußen vor der Tür; und er sagte ihnen das Wort.“ Das wäre mal ein Ding, was? Wenn so viele Leute zu unserem Gottesdienst kämen, dass sie bis auf den Hof und bis auf die Straße stehen würden! Vielleicht schickt Gott uns ja mal so einen Hunger nach seinem Wort, dass unsere Kirche sonntags nicht mehr ausreicht! Dann müssten wir vielleicht unser Kirchendach abdecken, um einen großen Sendemast aufstellen zu können. Ich würde es gut finden!

Aber ich will eure Gedanken heute auf drei andere Aspekte lenken, die auch in unserer Geschichte vorkommen:

1) Jesus schaut auf unseren Glauben.
2) Heilung und Sündenvergebung gehören zusammen.
3) Jesus beweist seine Macht.

1) Jesus schaut auf unseren Glauben. Klar, könnte man jetzt sagen, Gott sieht alles auf dieser Welt, also auch unseren Glauben. Aber hier in dieser Geschichte wird es ganz konkret. Da kommen diese vier Leute mit der Trage des Gelähmten und starten diese Aktion! Das Dach abdecken und auf waghalsige Weise den Kranken abseilen. Unglaublich! Würde das bei uns jemand machen, da wär aber was los!
Aber darauf geht der Evangelist Markus gar nicht ein, sondern erzählt uns fast beiläufig eine andere Sache: „Als nun Jesus ihren Glauben sah, …“
Natürlich hat Jesus mitgekriegt, was da passierte und wer ihn mitten in seiner Predigt gestört hat. Was er dabei gedacht oder gefühlt hat, wird nicht überliefert. Gut vorstellbar ist so eine Mischung aus Ärger, Empörung und Erstaunen über die Dreistigkeit, mit der diese Leute den Gottesdienst stören.
Denken wir nur daran, wie wir in unserer Kirchenbank darauf reagieren, wenn jemand oder etwas unsere Andacht stört!
Aber von all dem schreibt Markus nichts. Sondern: „Als nun Jesus ihren Glauben sah, …“
Das heißt doch, der Herr hast sich das eine Weile mit angeschaut und hat dann gemerkt, die meinen das wirklich ernst, was sie da tun! Die machen das nicht aus Spaß oder Langeweile oder weil sie ins Fernsehen kommen wollen.
Jesus erkennt, er sieht den Glauben dieser Leute, ihr Vertrauen darauf, dass Jesus dem kranken Mann helfen kann.
„Als nun Jesus ihren Glauben sah, …“ – man könnte sich jetzt fragen, wie sieht denn Glaube aus? Woran erkennt man den Glauben? Sieht Jesus auch meinen Glauben? Kann ich das auch, den Glauben von anderen sehen?
All das bleibt in dieser Geschichte unbeantwortet. Wir müssen bei anderen den Glauben nicht sehen können. Es reicht, wenn Jesus ihn sieht. Und er sieht deinen Glauben und den Glauben der anderen – ganz sicher! Davon kannst, davon musst du sogar ausgehen!
Das Aufregende an dieser Geschichte sind in meinen Augen zwei Dinge:
Erstens, dass Jesus den Glauben dieser vier Leute sieht, die die Trage mit dem Gelähmten vom Dach abseilen, und daraufhin den Kranken gesund macht. Die Frage, die mich dabei immer umtreibt, ist: Gibt es also doch so etwas wie einen stellvertretenden Glauben? Kann ich für andere glauben, damit ihnen geholfen wird? Nach dieser Geschichte, muss die Antwort „ja“ heißen!
Zweitens, dass Jesus den Glauben dieser vier Leute sieht, die die Trage mit dem Gelähmten vom Dach abseilen, und daraufhin den Kranken gesund macht.
Wobei, Moment mal … gesund macht?
„Als nun Jesus ihren Glauben sah, sprach er zu dem Gelähmten: „Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben.“
Damit kommen wir zu unserem 2. Gedanken

2) Heilung und Sündenvergebung gehören zusammen. Der „Dialog“, der uns hier überliefert ist zwischen Jesus und den Schriftgelehrten, ist ja kein richtiger Dialog. Aber aus dem Zusammenhang geht hervor, dass die Schriftgelehrten genau aufgepasst haben und natürlich sofort gemerkt haben, dass Jesus von Sündenvergebung gesprochen hat, obwohl es hier doch darum ging, einem Kranken zu helfen!
Bei Gott gehört eben Beides zusammen, um einen Menschen heil zu machen: körperliche Gesundheit und eine intakte Beziehung zwischen Gott und Mensch, die nicht von Sünden belastet ist. Nur Gott selbst kann so allumfassend handeln. Nur er kann Dinge in Ordnung bringen, die uns von ihm trennen. Und deshalb ist sein Sohn Jesus Christus auf die Erde gekommen, um den Gelähmten damals zu heilen und uns heute zu heilen, unsere Beziehung zu ihm in Ordnung zu bringen.
Er tut das Sonntag für Sonntag im Gottesdienst, in der Beichte, im heiligen Abendmahl: „Mein Sohn, meine Tochter, deine Sünden sind dir vergeben!“
Und ich bin fest davon überzeugt, wo Sünden vergeben sind, da werden auch körperliche Leiden gelindert und sogar geheilt. Vielleicht nicht so spektakulär und im Zeitraffer – wie damals. Mag sein. Aber ich würde nicht aufhören auf die Hilfe Gottes zu hoffen und an seine Macht zu glauben!

3) Deshalb noch schnell unser dritter Gedanke: Jesus beweist seine Macht. Er hat die bösen Gedanken der Schriftgelehrten erkannt und hat sie zur Rede gestellt. Ja, mehr noch, er führt diese besonders klugen und angesehenen Theologen vor allen anderen vor. Er stellt sie bloß. Er beschämt sie.
„Was ist leichter, zu dem Gelähmten zu sagen: Dir sind deine Sünden vergeben, oder zu sagen: Steh auf, nimm dein Bett und geh umher?“
Die Antwort muss notwendigerweise lauten: „Keins von beiden ist leichter. Es ist beides gleich schwer. Ja, es ist beides für uns Menschen unmöglich machbar.“
Und dann handelt Jesus in einer atemberaubenden Art und Weise, dass keine Fragen offen bleiben. Der Kranke wird geheilt, er steht auf und geht raus.
Es heißt hier, dass sie sich alle entsetzten. Ich stelle mir vor, wie es die Menschen damals gepackt hat, die hat es nicht mehr auf den Stühlen oder auf dem Fußboden gehalten! Die sind so erschüttert, dass in dem rammelvollen Haus auf einmal Platz ist, dass der gesund gewordene Mann hinausgehen kann.
Das muss ein Ding gewesen sein!

Liebe Gemeinde, Jesus sieht deinen Glauben, er sieht auch, was dich in deinem Glauben für andere Menschen in deiner Umgebung bewegt, die dir wichtig sind, die seine Zuwendung brauchen. Und du kannst sicher sein, dass Gott seine Macht beweist – auf eine Art und Weise, die du dir nicht vorstellen kannst. Aber er wird es tun!
Amen.