Miserikordias Domini, 4. Mai 2014 von Gottfried Heyn

 

Predigt über Hebr 13,20-21
Der Gott des Friedens aber, der den großen Hirten der Schafe, unsern Herrn Jesus, von den Toten heraufgeführt hat durch das Blut des ewigen Bundes, der mache euch tüchtig in allem Guten, zu tun seinen Willen, und schaffe in uns, was ihm gefällt, durch Jesus Christus, welchem sei Ehre von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen

Liebe Gemeinde,
im Refrain eines Liedes von Reinhard Mey heißt es „Was ich noch zu sagen hätte, dauert eine Zigarette und ein letztes Glas im Steh’n.“ Gemeint ist damit so etwas wie: „Ach, übrigens, was ich schnell noch sagen wollte …“ Die klassische Form dieser Art von Aussprüchen ist uns von dem römischen Staatsmann Cato aus dem 2. Jahrhundert vor Christus überliefert. Er soll jede seiner Reden – egal zu welchem Thema – mit dem Satz geschlossen haben: „Ceterum censeo Karthaginem delendam esse.“ Zu Deutsch: „Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Karthago zerstört werden müsse.“ An so ein „Übrigens, was ich schnell noch sagen wollte …“ hat mich unser heutiger Predigttext erinnert. Es ist der Schluss des Briefes an die Hebräer, dessen Verfasser wir nicht kennen. Nachdem er 13 Kapitel lang den Juden erklärt hat, dass der Jude Jesus der seit Jahrhunderten erwartete Christus, der Messias, ist, sagt er mal noch so nebenbei etwas über das größte Wunder Gottes nach der Schöpfung. „Übrigens, was ich euch schnell noch sagen wollte, Gott hat Jesus von den Toten auferweckt.“ In einem Nebensatz bringt er die überwältigende Siegesbotschaft von Ostern unter. Den ganzen Brief lang verliert er darüber kein Sterbenswörtchen. Und kaum ist der Nebensatz ausgesprochen, wendet sich der Verfasser auch schon wieder einem anderen Gedanken zu. Eigentlich ist das doch unglaublich ignorant! Oder es ist für den Briefschreiber so absolut selbstverständlich, dass es ihm in Fleisch und Blut übergegangen ist, und er dazu nichts weiter sagen muss. Wie haben das wohl die armen Hebräer aufgenommen, die mit dieser Aussage so nebenbei, am Rande, „übrigens, bevor ich es vergesse …“ konfrontiert wurden? Haben sie überhaupt verstanden, was ihnen hier mitgeteilt wurde? Oder war ihnen das selber schon klar? Ich weiß es nicht, und wir müssen darüber auch nicht spekulieren. Wir sind ja – wie schon ein paarmal erwähnt in diesem Kirchenjahr – in einer etwas komfortableren Lage als die ersten Briefempfänger, weil wir deutlich mehr Glaubensinformationen haben aus der Fülle des Neuen Testaments. Lasst uns trotzdem in drei kleinen Abschnitten auf das hören, was der Verfasser des Hebräerbriefes aufgeschrieben hat:

1) Jesus ist der eine große Hirte, weil er vom Tod auferstanden ist.
2) Dieser eine große Hirte bringt uns dazu, gute Schafe zu sein.
3 ) Diesem Hirten gebührt ewige Ehre.

1) Der erste Abschnitt: Jesus ist der eine große Hirte, weil er vom Tod auferstanden ist. Nördlich von Hannover, in der Lüneburger Heide, da kann man ab und zu noch eine echte Schafherde und ihren Hirten sehen. In den meisten Fällen wird das wahrscheinlich bloß zu touristischen Zwecken gemacht, weil wir spätestens seit Hermann Löns wissen, dass die Heidschnucken zur Lüneburger Heide gehören. Aber immerhin. Es gibt sie noch, wenn auch nicht mehr als wichtigste Lebensgrundlage der Schäfer und ihrer Familien. Der Beruf des Hirten ist ein aussterbender Beruf aus einer fernen, längst versunkenen Zeit. Und so wie dieser Zweig der Landwirtschaft, die Schäferei, inzwischen fast ausgestorben ist, so stirbt auch der Beruf aus. Wenns klappt, wird er weitervererbt an den Sohn. Aber kaum einer hat noch Lust, einen solchen Nomadenberuf auszuüben, immer mit der Herde unterwegs, bei Wind und Wetter draußen, ständig auf der Suche nach neuen Weideplätzen. Von Jesus wird in unserem Predigttext gesagt, dass er der große Hirte, und ich setze hinzu: der eine große Hirte der Schafe ist. Er ist ein ganz besonderer Hirte. Sein Beruf, seine Berufung stirbt nicht aus. Ganz im Gegenteil, sie ist voll im Kommen! Der Verfasser des Hebräerbriefes schreibt, der Gott, den die Hebräer, die Juden, kennen, der Gott ihrer Erzväter Abraham, Isaak und Jakob, der bisher nur mit blutigen Opfern zufriedengestellt werden konnte, der ist ein Gott des Friedens geworden. Das bedeutet; er will keinen Krieg mehr zwischen Gott und den Menschen. Er will auch keinen Tod mehr. Er will dem Elend des irdischen Lebens ein Ende machen. Und deshalb hat er den einen großen Hirten, seinen Sohn Jesus Christus, von den Toten heraufgeführt. Das ging zwar auch nur über ein blutiges Opfer, nämlich den vorherigen Tod dieses Hirten. Aber der ist ein besonderer Hirte, weil er von Gott abstammt und weil er deshalb Anteil am Leben Gottes hat. Und das bedeutet: Jesus, der große Hirte, lebt. Das bedeutet: Mit dem Tod ist nicht alles aus. Das bedeutet: Die Herde ist nicht sich selbst oder einem neuen, unbekannten Hirten überlassen. Das bedeutet auch: Die Schafe haben eine Überlebenschance.

2) Da schließt unser zweiter Abschnitt an: Dieser eine große Hirte bringt uns dazu, gute Schafe zu sein. Wir bleiben in dem Bild vom Hirten und seiner Herde. Wer der Hirte ist, das hat der Briefschreiber schon gesagt: Jesus. Wer die Schafe sind, sagt er nicht. Aber es geht aus dem Zusammenhang hervor, dass die Angeredeten, die Briefempfänger, und im Weiteren dann auch wir als Hörende zu den Schafen gehören. Denn der eine große Hirte der Schafe soll etwas mit uns machen: „… der mache euch tüchtig in allem Guten, zu tun seinen Willen, und schaffe in uns, was ihm gefällt …“ Der Briefschreiber bezieht sich am Schluss sogar selbst mit ein. Er redet also nicht von oben herab: „Nun, meine lieben Schäfchen!“, sondern er ist selbst ein Schaf und gehört zu der Herde des großen Hirten der Schafe. So wie es der Briefschreiber formuliert, ist es ein Wunsch: Der Hirte mache euch tüchtig! Er schaffe in uns, das heißt, er möge schaffen, er möge bewirken! Der Briefschreiber wünscht der Herde Christi, dass ihr Hirte sie auf eine gute Weide bringt, dass er sich ganz und gar um sie kümmern möge, dass er sie so anleitet und führt, dass sie seinen Willen tut. Tiere folgen ihrem Instinkt. Das machen sich die Tierwirte zunutze und bringen den Tieren Verhaltensweisen bei, die beides miteinander zusammenbringen: den Instinkt der Tiere und den Willen des Züchters. Der Unterschied zu diesem Bild ist, dass wir keine Tiere sind, die ihrem Instinkt folgen, sondern dass der Schöpfer uns mit einem eigenen Willen ausgestattet hat. Das Problem ist, dass dieser Wille dem Willen des Hirten so oft entgegensteht, in eine ganz andere Richtung denkt, handelt, geht. Der Briefschreiber wünscht uns, dass wir wie die Schafe werden, die sich gemäß dem Willen ihres Hirten bewegen und leiten und führen lassen. Das Bild ist ja vielleicht ganz schön, aber dahinter steckt die für uns so schwer verdauliche Erfahrung, dass wir unseren eigenen Willen zurückstecken müssen, ja, dass er sogar von unserem Hirten gebrochen werden muss, damit wir nicht mehr gegen ihn aufbegehren. Das ist kein besonders populärer Gedanke in unserer freiheitlich genannten und vor allem selbstbestimmten und selbst bestimmen wollenden Gesellschaft. Aber es ist ein Merkmal von Christentum: sich und sein ganzes Leben, und alles, was damit zusammenhängt ganz und gar dem Hirten anzuvertrauen und ihm zu überlassen. Denn der Hirte ist nicht irgendein Hirte, sondern der eine große Hirte.

3) Unser dritter Abschnitt: Diesem Hirten gebührt ewige Ehre. Allerspätestens jetzt steigt der Briefschreiber aus dem Bild vom Hirten und seiner Herde aus. Denn einen Hirten, dem Ehre gebührt von Ewigkeit zu Ewigkeit, gibt es hier auf dieser Erde nicht. Wir erleben zwar gegenwärtig unter den Staatschefs dieser Erde genug Möchtegern-Hirten, die sich gern allmächtig vorkommen und am liebsten göttlich verehrt werden wollen. Aber deren ganzer zusammengeraffter und erpresster und gestohlener Ruhm und Reichtum ist weniger wert als ein Fingerschnipsen im Vergleich zu unserem Gott, zu unserem großen Hirten. Und es ist vor allem schneller mit ihrem Größenwahn zu Ende, als wir uns alle vorstellen können. Und dann wehe denen, die sich in ihrer Übersteigerung wie Gott vorgekommen sind! Wer weiß, ob sie noch Gelegenheit haben werden, sich von ihren Sünden zu bekehren! Dagegen bleibt unser Hirte von Ewigkeit zu Ewigkeit. Als Kind habe ich immer gedacht, das sei eine Zeitspanne. Aber wenn etwas ewig ist, dann ist es nicht zeitlich. Das einzige, was an Gottes Ehre von Ewigkeit zu Ewigkeit zeitlich ist, ist, dass sie auch durch unsere Zeit reicht. Wenn ich mir unsere Zeit als Luftblase vorstelle, durch die ein Wollfaden hindurchführt, der die Ewigkeit auf der einen Seite der Luftblase mit der Ewigkeit auf der anderen Seite der Luftblase verbindet, dann ist mir das eine Hilfe in meiner Vorstellung. Physikalisch ist das nicht möglich. Die Luftblase würde zerplatzen. Aber egal. Denn auch die Physik ist eine zeitliche Sache.

Liebe Gemeinde, es ist schon geradezu atemberaubend, welche großartigen und gewaltigen Dinge der Briefschreiber uns hier wie nebenbei und völlig selbstverständlich mitteilt. Deshalb lasst euch heute wieder neu davon überraschen, was für einen Gott wir haben, der wie ein guter Hirte mit uns umgeht, und dem wir uns ganz anvertrauen dürfen. Amen.